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Sonntag, 15. Dezember 2019

Die tanzenden Regelbrecher

© by Jonas Wömpner Martin Maecker, Andrea Casabianchi, Leif Scheele
(Hannover) Eine hintergründige Tanzstunde gibt es derzeit im Theater an der Glocksee unter dem Titel „Was du nicht sagst! - Eine gesellschaftspolitische Tanzstunde“ Mit dieser Inszenierung von Jonas Vietzke ist dem Theater eine sowohl aufrührende als auch charmant-witzige Position gelungen mit der man den Übergang ins neue Jahr wundervoll begehen kann. Ein Thema das uns nicht nur einmal beschäftigt, sondern zentral unser Zusammenleben prägt: Regeln!

Es geht darum welche Regeln es gibt, wie man ihnen freiwillig folgt, dazu gezwungen oder manipulativ eingebunden und verführt wird. Tanzschritte sind Regeln. Doch gelten die immer und in allen Situationen, wenn z.B. die Geschlechter vertauscht, gewandelt oder neu definiert sind? Und dann die Reduktion der Inhalte auf ein bestimmtes Regelwerk. Was nicht von einem Regelwerk erfasst wird, ist das dann automatisch verboten, Haram? Fühlt man sich da nicht gleich peinlich ertappt, verloren? Und dann die ungeschriebenen Regeln: Ist man rechts oder links eingestellt? Und wenn man links ist darf man dann noch Kritik an Linken Machenschaften äußern und vice versa? Das ist alles ganz schön konfus und am Glocksee Theater mit einer erfrischenden Leichtigkeit auf den Punkt gebracht. Große Themen werden nicht an einem Theaterabend beantwortet, aber das Ensemble hier hat mit vitalem Einsatz den Kern der Sache offen gelegt. Wann gingen sie das letzte Mal mit einem breiten Grinsen aus einer Vorstellung und dennoch nachdenklich gestimmt?

Regeln werden gesetzt im guten Glauben die Verhältnisse der Menschen untereinander zu regeln, sie zu ordnen. Damit die sie eben friedlich miteinander leben können. Wenn die Menschen das nicht ganz selbstverständlich können, sondern dafür Anleitungen benötigen, also fehlbar sind, müssen dann Regeln mit aller Härte durchgesetzt werden? Durch Strafe, Vergeltung und Rache? Oder sind das nicht ehr Ideen aus einer längst vergangenen Feudalherrschaft? Und damit sich jeder einzelne Mensch regelkonform verhalten kann, muss er sie doch auch kennen. Scherzfrage: Reiht man alle Regelwerke, Gesetzestexte, Richtlinien, Verordnungen die es in Deutschland gibt aneinander, wie viel Meter Buchrücken ergibt es dann? A) 20 Meter B) 50 Meter C) über 100 Meter Genau, die richtige Antwort lautet C). Und nun schauen sie sich bitte in ihrem Bücherregal um und schätzen wieviele Meter Buchrücken sie jemals gelesen haben. Diese Erkenntnis könnte Ihnen eine enormes Stresspotential bieten. Denn wie kann sich ein einzelnes Individuum in der Gemeinschaft verorten, sich identifizieren, wenn eine schier undurchdringliche Regelflut dagegen steht? Und umgekehrt, wie kann die Gemeinschaft der Menschen über eine einzelne Person ernsthaft, respektvoll und individuell urteilen?

Man kann diese Gedanken noch viel weiter spinnen. Regeln die sich gegenseitig widersprechen wie beispielsweise bei der Rundfunkgebühr. Regeln um Probleme zu lösen, die aber völlig unzureichend sind wie beispielsweise beim aktuellen Klimaschutzpaket. Mit Regeln ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet, wenn sie leichtgläubig und kritiklos angenommen werden. Und hier darf ich noch mal unterstreichen das die "gesellschaftliche Tanzstunde“ im Theater an der Glocksee beschwingend auf etwas aufmerksam macht, das uns alle betrifft.


Die nächste Vorstellung ist am Mittwoch den 18. 12. um 20:00. Im Januar 2020 geht es dann weiter am 3., 4., 8., 22., 24., 25. jeweils um 20:00 Karten gibt es über www.theater-an-der-glocksee.de oder via Tel.: 0511-1613936

Mittwoch, 16. Oktober 2019

Hannah Arendt - Freiheit - Punk!



Kassandra Speltri © Jonas Wömpner
(Hannover) Hannah Arendt wurde in Hannover Linden geboren und ist laut Wikipedia politische Theoretikerin. Die Punk Band Pisscharge sind auch aus Hannover (mit Migrationshintergrund) heute dort aktiv und alles andere als Theoretiker. Sie sind nicht bei Wikipedia zu finden. Krasse Positionen die hier mit einer Frage zusammenkommen: Wie geht Freiheit? Es wird im Theater an der Glocksee ein wohlrecherchiertes Ideenfeuerwerk abgebrannt, dass wieder einmal zeigt wie lebendig freies Theater ist.

Eine der großen Herausforderungen am Theater ist der lineare Verlauf von Zeit. Wird etwas in diesem Schema erzählt ist Langeweile garantiert. Stellt man aber Fragen, so wie Lena Kußmann das tut, dann kommt eine mitreissende Dynamik ins Spiel. So wird hier Hannah Arendt in drei Stationen ihrer Lebens dargestellt (von Andrea Casabianchi, Ronja Donath, Laura Jakschas) und kann so mit sich selbst in Austausch treten. Interessanter Ansatz: denn was bleibt über von einer historischen Person in der Erinnerung des einzelnen? Eine Momentaufnahme? Momente ihres Wirkens? Oder sind es die Themen, Fragen, Provokationen etc., die eben jene Person aufgeworfen hat? Nun wird plötzlich nicht mehr die Person Hannah Arendt im Mittelpunkt stehen sondern das was sie tat, dachte, vermittelte etc. Eben die Sache. Und die ist bei diesem Theaterprojekt die Frage nach der Freiheit. Hand aufs Herz: Was Freiheit ist, ist das nicht eine der schwierigsten Fragen überhaupt? Und in einer Zeit in der so viele konkrete Fragen zur Disposition stehen wie: Klimawandel, Datenschutz, Migration, Rechtsruck, Waffenhandel, Autokraten etc.; ist es da nicht erfrischend einmal die Fragen auf das Elementare zu richten warum wir alle hier sind? Die großen Fragen des Hierseins auch eine wesentlich Aufgabe von Theater überhaupt! Wir könnten auf Grund von Evolution und technischer Entwicklung weltweit so frei sein wie noch nie, aber sind wir nicht alle auf die eine oder Art Sklaven von: Sicherheitsdenken, Besitzverteidigung, Meinungen, Regeln über Regeln gestützt in einem Korsett der Rechtsstaatlichkeit?

Casabianci, Donath, Jakschas, Speltri © Jonas Wöpner
Hannah Arendt gegenüber stehen die Punks. (Kassandra Speltri, Nico Tiekötter, Cristobal Camiruaga, Joao Guilherme) Sie schreien die gefühlte Unzufriedenheit laut raus. Sie verkörpern das Prinzip des „anders seins“ so laut und konsequent wie niemand sonst. Sie leben einen Stil der nicht in langen wohlgefeilten Diskussionsbeiträgen vorgetragen wird. Ihre Kunst ist ökonomisch auf höchstem Niveau. Sie hauen dir die Fakten um die Ohren, unverblümt und mit klarer Emotion. Sie stellen sich ihrer Situation, der Enge, der Beschränkung, der Restriktionen in dem sie einfach nicht Kompromiss bereit lavieren. Kein Punk benutzt so um tausend Ecken gedrechselte Sätze wie die Arendt, deren Sätze man zehn Mal lesen und überdenken muss um eine Ahnung zu bekommen wovon sie da spricht. Aber, das ist keine Frage der Intelligenz, sondern eine Frage was man zu erreichen gedeckt und was man bereit ist dafür zu tun.


Nach der Groteske im Frühjahr (dem Milchstraßenknurren) ist dies eine weitere mutige und Rahmen sprengende Arbeit die das Ensemble an der Glocksee vorstellt. Eine Punk Band auf der Bühne (Hörschutz wurde bereitgestellt) kreatives Chaos das nie aus dem Ruder läuft in einem Paletten-Bauzaun-Autoreifen Gerümpelhaufen der einer 60er Jahre TV-Bühne gegenübersteht (Britta Bremer), eine vielschichtige Erzählweise die an Filme wie „Dritte Person“ von Paul Haggis oder „I´m not there“ von Todd Haynes erinnert und ein multimedialer Aufwand (Jonas Vietzke, Kirsten Müntinga) der nie Selbstzweck ist. Mit Hannah und der Punk oder wie geht Freiheit ist dem Theater an der Glocksee wieder ein theatrales Feuerwerk gelungen. Kein Wunder das die beiden Vorstellungen 16.10. und 18.10. schon ausverkauft sind. Weitere Vorstellungen sind am 25., 26., 30 Oktober und 1., 2., 6., November. Tickets unter www.theater-an-der-glocksee.de

Freitag, 4. Oktober 2019

Premiere im Theater an der Glocksee

© by Chris Wolff
(Hannover) Am 11. Oktober 2019 um 20:00 ist es wieder so weit. Dann steht die nächste Premiere auf dem Spielplan am Theater an der Glocksee in Hannover. Unter der Leitung von Lena Kußmann ist ein krachendes Stück Theater entstanden zu dem ich hier kurz die Pressemeldung zeigen möchte: 


Hannah und der Punk oder wie geht Freiheit?

Dieser Abend fordert Hirn und Herz, Trommelfell und Neuronen: Die brillanten Texte der politischen Theoretikerin Hannah Arendt zum Thema Freiheit und politische Teilhabe treffen auf die brachiale Emotionalität einer politischen Punkband. Hannah is back – in Form von drei virtuosen Performerinnen, welche die sinnlich denkende Hannah Arendt verkörpern und Auszüge aus ihren Werken zum Thema Freiheit in Sprache und Szene komponieren. Sie treffen auf die Hardcore Punkband »Pisscharge«, die sich mit ihrer Frontsängerin Kassandra ähnliche Themen unserer heutigen Welt vorknöpfen. Und Hannah? Will verstehen... Eine neue, gemeinsame und vielsprachige Suche beginnt: Nach dem Wesen der Freiheit, nach Mut, nach Verantwortung, Ohrenschützern, Körpereinsatz, Visionen - und nach dem Herz zwischen Bauch und Kopf.

»To me, punk rock is the freedom to create, freedom to be successful, freedom to not be successful, freedom to be who you are. It's freedom« - Patti Smith

»Es ist schwer zu entscheiden wo der Wunsch nach Befreiung - also frei sein von Unterdrückung, endet und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen, beginnt.« - Hannah Arendt


Karten gibt es unter 0511-161 3936 oder www.theater-an-der-glocksee.de

Horst Janssen - Spötterer, Kopierer und Angeber

Frau mit dem 'effchen 1975 Horst Janssen
(Emden) Er war selbstverständlich auch Künstler. Ein großer Teil seines ca. 30.000 Arbeiten umfassendem Werkes wird in der Kunsthalle Emden als Kosmos Janssen und die bildende Kunst derzeit ausgestellt. Und weil eben bei einem so umtriebigen Künstler nicht alles gezeigt werden kann, treffen die in der Headline genannten Eigenschaften ziemlich gut den Ausschnitt dieser Schau die noch bis zum 26. Jan. 2020 zusehen sein wird. Es handelt sich hierbei um eine Doppelausstellung in Kooperation mit dem Horst-Janssen-Haus in Oldenburg. Dort dauert die Ausstellung vom 15. November 2019 bis zum 15. März 2020. In Emden liegt der Schwerpunkt auf die bildende Kunst, in Oldenburg auf den Wörterer unter dem Titel Kosmos Janssen- wie er schreibt.

Die Kuratorin Eugenia Kriwoscheja, die als wissenschaftliche Volontärin an der Kunsthalle Emden wirkt, hat in einer erfrischenden Weise eine sehr interessante Ausstellung zusammengestellt. Sie hat die Räume mit einzelnen Themen bestückt und so arrangiert dass man genüsslich in die geheimnisvolle Welt eintauchen kann. Im persönlichen Dialog mit Henri Nannen entstand 1988 eine erste Janssen-Ausstellung in Emden. Im ersten Raum nimmt die Ausstellung Bezug auf einem Brief Janssens an „Mynher Henri Nannen“, den Janssen als eine Hommage an den 1630 in Emden geborenen Seemaler Rudolph Backhuizen. In den weiteren Räumen werden vergleichende Exponate gezeigt die den Kopierer Janssen erschließen. Kopieren ist ja bekanntlich eine weithin gebräuchliche Technik um sich mit den Arbeiten anderer Künstler vertraut zu machen. Hierbei lernt man z.B. Pinselführung, Kompositionen und vieles mehr. Horst Janssen hat verschiedene Themen über viele Jahre immer wieder bearbeitet. So z.B. Katzen. In einem Raum kann man nun die Entwicklung verfolgen wie er sich immer wieder und wandelnd mit diesem Sujet beschäftigt hat. Kopieren bedeutete für Janssen aber auch auf eigene kreative Weise die Vorlagen weiter zu entwickeln, umzugestalten, die Essenz herauszuholen oder Gegenvorschläge zu finden. Hier tritt man spätestens in den Kosmos Janssen ein. Welten eröffnen sich, Denkschemata schimmern durch und das komplexe Wesen des Künstlers mit all seinen Widersprüchen dringt an die Oberfläche der mitunter skurrilen Arbeiten. Und dann der Spötterer, der „Angeber X“ der er war, ist viel Raum gewidmet. Was dachte er über andere Kollegen, und wie schamlos und provokant brachte er das zum Ausdruck?! Er bearbeitet die Arbeiten anderer Künstler mit Kommentaren die er direkt ins Bild schrieb, „korrigiert“ mit Pfeilen und Änderungen um die Arbeiten zu beurteilen, zu verbessern und zu kritisieren. 


Mein Tipp - bringen Sie viel Zeit mit, denn es gibt sehr viel zu entdecken. Die Ausstellung wirkt vor allem wenn man bereit ist in den Kosmos Janssen einzutauchen. Eine Hilfe für diesen Tauchgang ist der Katalog in dem Janssen als Wörterer und als Bildender ausführlich beschreiben ist.

Samstag, 27. Juli 2019

Wie entsteht Herkunft und Identität?

TachoTinta & Gast
(Oldenburg) Am Ende der Präsentation vom makingoff#41 des flausen+ Forschungsprojektes am Theater Wrede+ fragt Silvia Ehnis Perez Duarte wie sich die Anwesenden identifizieren. Gemeint war da nicht der Ausweis, Reisepass oder Führerschein. Sie fragte nach unserer Identität. Eine nachdenklich kollektive Stille breitete sich aus. Ein Moment den die vier Tänzer an diesem Abend mehrfach erreichten. Ihre Arbeit geht unter die Haut, trifft im Herzen und breitet sich von dort in respektvoller Weise aus. Das ist Poetik die große Fragen stellt - ohne Anklage oder Vorverurteilung. Die Fragen, auf die derzeit keiner eine befriedigende Antwort geben kann.

Why are two asians and one latin sitting and the floor? - ist der Arbeitstitel unter dem die Gruppe TachoTinta vier Wochen in Oldenburg theatrale, kreative Forschung betrieb. Neben der oben erwähnten Mexikanerin gehören noch die beiden Koreanerinnen Mijin Kim und Seulki Hwang sowie als Gast der Türke Enis Turan dazu. Vier diplomierte Tänzer die neue Wege in der Kunst suchen. Das Projekt flausen+ wurde initiiert vom Theater Wrede in Oldenburg. Förderungen für Innovationen gibt es in vielen Bereichen. Flausen+ ist das einzige Programm dass für Theater zugeschnitten ist. Hier können die Gruppen künstlerische Risiken eingehen ohne einem Erfolgsdruck ausgesetzt zu sein. Wer sich auf Entdeckungsreise macht, der darf auch scheitern können dürfen. Doch ist es nicht oft gerade diese Freiheit die den Erfolg herbei zieht? Enis Turan der als freelancer Tanz-Projekte produziert sagte, er würde gefühlte 80% mit Organisation verbringen und den Rest kreativ auf der Bühne. Diese Einschätzung kann ich nur bestätigen und habe ähnliches auch schon von vielen anderen Kollegen gehört. In diesem Jahr standen 180 Anträge 5 flausen+ Stipendien gegenüber. Deutlicher kann ein Fördervakuum kaum illustriert werden.

Junge Künstler forschen. Wie muss man sich das vorstellen? Bei diesen vier Wochen flausen+young artists in residence steht die Frage wie sie als die Gruppierung die sie sind wahrgenommen werden. Wie entsteht der erste Eindruck? Ist er biographisch? Welches Erscheinungsbild entsteht, und wie entwickelt sich daraus eine Identität? Ein wesentlicher Punkt ist die Herkunft und wie sie in diesem Land aufgenommen werden. Dann erstellen sie sich einen Tagesplan nach dem sie sich zeitlich genau richten. Das gibt eine äussere Form und hilft den Fokus auf die Frage zu halten.  Sie führen täglich ein Logbuch um so mit den Mentoren des Projektes Kontakt zu halten. Das Logbuch ist übrigens im Netz einzusehen. Eine spannende Lektüre darüber wie dieser Prozess verlief. Einmal pro Woche gibt es mit den Mentoren eine Reflektionsrunde. Und dann am Ende steht das Making Off, eine Präsentation dessen was sie in den vier Wochen gefunden haben, bzw. zumindest einen Einblick in die Arbeit, denn es ist ein vielfaches mehr entstanden.


Die making off’s die ich bisher gesehen habe, es waren schon einige, sind alle auf ganz unterschiedliche Weise abgelaufen. Bei diesem ging es vor allem darum ein Feedback aus dem Publikum zu bekommen. Also stellten sich die Akteure gegenseitig vor. Wobei die Vorstellung aus der Wahrnehmung der Person gestaltet wurde die erzählt. Darauf folgte eine erste tänzerische Einheit mit anschließender Gesprächsrunde. Interessant war nun zu beobachten wie die Kommentare aus dem Zuschauerkreis gestaltet wurden. Durch deren Aussagen entstand eine Identität, in dem das auf der Bühne gezeigte identifiziert wurde. Doch war es das auch wirklich? Hat Identifizierung also auch etwas mit erkennen, Aufmerksamkeit und eigener Bewertung zu tun? Jedenfalls war es eine rege Gesprächsrunde die zu Gunsten weiterer Vorstellungsmomente in Grenzen gehalten werden musste. Bemerkenswert ist die hohe Professionalität mit der die vier Tänzer arbeiteten. Es lag eine Spannung von respektvoller und mutiger Risikobereitschaft im Raum, eine wichtige Voraussetzung um Grenzen zu überschreiten. Aus dieser Forschungsarbeit ist geplant eine konkrete Inszenierung zu machen. Dann darf man wirklich gespannt sein.  Link

Montag, 22. Juli 2019

Kleist im Spiegel seiner Zeit

(Wanna) Kleist - Leben und Werk, so der Titel von Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Krafts Buch über Heinrich von Kleist. Eine Biografie? Nein, ehr nicht. Die Beweggründe Kleists bleiben unangetastet. Spekulationen sind nicht das Feld des Autors. Er zieht seine Schlüsse zum Werk ausschließlich aus belegbaren Tatsachen. Kein Wort über eine evtl. Phimose. Gesundheitliche und seelische Einflüsse gehören für Kraft ehr nicht in das Reich von Fakten.

Wer war im Krieg mit wem und warum, in welchem Battalion mit welchem Offiziergrad und das alles mit Briefen, Drucksachen und weiteren Dokumenten belegt. Wieviel Geld hatte er von wem zur Verfügung, welche Stellen versuchte er aufgrund seiner hochwohlgeborenen Herkunft zu bekommen, welche Zeitungen und einzelnen Artikel gab er wann und wie heraus? Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Kraft fühlt sich als Gelehrter sicherlich der Genauigkeit verpflichtet, was auch für dieses Buch lobenswert ist, der Mensch Heinrich von Kleist allerdings verblasst hinter dem nahezu erdrückendem Geschichtscolorit. Die Geschichtsdaten, die sich leider hauptsächlich auf politische Umstände beschränken, lassen eine kulturelle und auch persönliche Sicht auf Heinrich von Kleist vermissen. Fakten wechseln mit belesenen und sehr persönlichen Deutungen einzelner Werke. Man sollte schon mindestens eine Gesamtausgabe von Kleists Werken gelesen haben um den hier ehr differenzierten Genuss zu gewinnen. Der Verlag kündigt das Buch als spannende Unterhaltung an, und dem möchte ich hinzufügen, diese Unterhaltung entfaltet sich vor allem in einer höher gebildeten Leserschaft. Denn viele Deutungen und Auslegungen sollten besser von einem erwachsenen Geist hinterfragt als konsumiert werden.


Ein wenig mehr lebendiges erzählen hätte diesem Buch zu einer große Empfehlung verholfen. Dennoch lesenswert erschienen im Aschendorff Verlag ISBN 978-3-402-00448-7

Freitag, 24. Mai 2019

Jeder kann erfolgreich wirtschaften

(Wanna) Günter Faltin, der Pionier der Entrepreneurship-Bewegung, führt in „David gegen Goliath“ vor, wie ökologische und soziale Werte in der Wirtschaft integriert werden können statt mit der mehr-Wachstum-um-jeden-Preis Mentalität weiter zu machen. Das er damit nicht ganz falsch liegt zeigt sicherlich die Teekampagne die seit über 30 Jahren die im Buch beschriebenen Werte praktiziert. Der Schritt vom Kunden zum Teilnehmer einer verträglicheren Wirtschaft mag auf den ersten Blick groß erscheinen. Doch bei der Lektüre dieses Wirtschaftswissens bekommt man schnell ein Gefühl dafür wie einfach es ist ökonomisch zu handeln.

Der Hochschullehrer und Unternehmensgründer Faltin hat hier ein interessantes Buch vorgelegt. Würden wir uns alle aus der Knechtschaft des Kunden erheben und aktiv und gleichberechtigt am Wirtschaftsleben teilnehmen, dann wäre dieses Buch ein echter Gewinn. Doch der Mensch ist dick, dumm, faul und gefräßig. Er ist, oder besser noch wir sind, so sehr in unseren Gewohnheiten verhaftet, dass wir alles Unrecht der Welt lieber ertragen als unseren Arsch zu erheben um etwas sinnvolles Neues zu wagen. Wie Albert Einstein schon mit Erschütterung feststellte: es ist leichter ein Atom zu Spalten als eine Meinung im menschlichen Gehirn zu wandeln, oder so ähnlich. Ihr versteht meine Empörung? Faltin legt hier Gedanken vor die so einleuchtend sind, dass es einem die Schamesröte ins Gesicht treibt, weil man nicht bereits selbst darauf gekommen ist. Und diese Gedanken sind nicht neu. Von Faltin ist es die komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe von „Wir sind das Kapital“. Mit dem Weckruf „wir können Ökonomie besser“ trifft er zwar den Kern seines Vortrags, aber nicht die Herzen der Menschen. Er zählt in zahlreichen Beispielen auf wie man aus der Sofafeistigkeit heraus aktiv am Wirtschaftsleben teil haben, und damit langfristig für das eigene Wohlergehen sorgen kann. Außerdem zeigt er wie man an der gnadenlosen Unverantwortlichkeit der Wirtschaftsmagnaten sägen kann, in dem man nicht einmal das Rad neu erfinden müsste, sondern nur das Wirtschaftssystem mit anderen Werten belebt. Einige wenige Menschen in der Welt tun das auch. Und sollte der Herr eines guten Tages Hirn regnen lassen, wird der Anteil der Menschheit auch größer werden die sich für humanere und umweltverträglichere Wirtschaftspraktiken interessieren.

Der Kern der Sache ist also nicht die Möglichkeit. Es geht viel mehr darum herauszufinden warum wir Menschen so träge und gemächlich alles beim alten lassen. Unser Desinteresse an wirtschaftlicher Gerechtigkeit geht soweit, dass ein Prozent der Menschheit über 99 Prozent des Kapitals verfügt. Und das leider nicht zum Wohle aller. Wir ertragen das einfach, gehen täglich zu unseren Sklaventreibern, kaufen Dinge die weder gut für uns sind noch die wir uns wirklich innig wünschen und die auf eine Weise produziert werden die unsere Welt unwiederbringlich zerstören. Wir haben die Wahl, doch der Trend seit einigen Jahren geht ehr dahin jemand anderen Verantwortung zu nehmen übertragen der für uns die Sache kontrolliert anstatt, dass wir selber aktiv werden für bessere Verhältnisse.

Jetzt am Sonntag ist Europawahl und wir können mit unserem Kreuz die Richtung vorgeben wohin die Reise gehen soll. Mehr Kontrolle durch
Führungspersonen denen wir blind folgen wollen, oder einen Schritt hinaus aus unserer Komfortzone in eine vielleicht bessere Zukunft. Ja, Veränderung bringt Ungewissheit und Gefahr mit sich. Aber verfaulen, verfetten und verblöden schadet uns auch.  Konservativ ist gut wenn Werte geschützt werden wenn auch wert sind geschützt zu werden. Die vorherrschenden Wirtschaftspraktiken sind das nicht.  Wollen wir den Kopf in den Sand stecken oder nicht doch einmal ein kleines bisschen wagen.  „David gegen Goliath“ beschreibt ganz pragmatisch den Weg etwas zu wagen, kreativ zu sein, Verantwortung zu übernehmen, die Welt neu zu gestalten, nicht zu akzeptieren wie die Verhältnisse sind und sein eigenes Leben interessanter zu formen in Gemeinschaft und miteinander an Stelle von gegen den Rest der Welt. Der Titel des Buches ist vielleicht etwas ungeschickt gewählt, denn es geht nicht so sehr darum die Goliaths der Welt zu schaden, sonder die Davids zu ermutigen. 


Das Buch ist ein klimaneutrales Druckprodukt. Erschienen bei Haufe 264 Seiten für 16,95€ mit der Print ISBN 978 3 648 12564 9 und ePub ISBN 978 3 648 12565 6


Freitag, 26. April 2019

Antonio Stella

(Bremen) Italienischer Abend auf der Probebühne Tanz am Theater Bremen, die Leute kommen zu Hauf. Der Raum ist in einem dämmerigen Licht getaucht. Antonio Stella, festes Mitglied der Tanz Kompanie Unusual Symptoms, hockt in der Mitte des riesigen Stuhlkreises zwischen Blumen und Erde. Der Garten seiner Grossmutter aus seiner Heimat Palermo. Hier spielte er mit den Topfblumen als Kind die Situationen nach, wie sie auf den Straßen Palermos üblich waren. Der Ort seiner Jugend und Inspiration. In kleinen Etüden berichtet er von zahlreichen Erlebnissen. Auf der Piazza Politeama in der sizilianischen Hafenmetropole traf er sich mit Altersgenossen und verbrachte seine Jugend. Erste Liebe, Briefe unter Freunden, Träume und Sehnsüchte zu Beginn des Lebens, all das erlebte er dort.

Es ist eine Klubatmosphäre, gleichgesinnte Neugierige haben sich hier versammelt um etwas persönliches über den Menschen zu erfahren der in vielen Tanz Produktionen für sie auf der Bühne steht. Die Leute sind geduldig und gebildet. Denn es dauert einen Moment bis man so richtig versteht worin man gerade eingeweiht wird, und es wird kaum ein Wort deutsch gesprochen; italienisch ist ja wohl so etwas wie die zweite Muttersprache der Deutschen. Die kleinen Anekdötchen wechseln mit Liedern aus der Heimat und/oder seinem Leben, seinem Werdegang als Tänzer. Das Spiel seiner Biografie reichert Stella mit den Gegenständen an die wir alle mit Italien verbinden. Da sind natürlich die Schuhe, Gebäck das Erinnerungen an der Pate aufkommen lässt, genauso das Olivenöl, Sonnenbrille, Dessertwein und Aqua Minerale, und und und…. Jemand erzählt von seinem Leben, aber nicht nur privat, sondern in einer künstlerisch gediegenen Form. Es geht eben nicht nur um die Person, es geht auch darum wie man transkulturell miteinander und aufeinander trifft. Eine sehr herzlichen  Begegnung zwischen denen die Kunst machen und denen die sich ein bisschen mehr dafür interessieren. Und wie der Abend zeigte wurden alle menschlich reich beschenkt. Diese kleinen Veranstaltungen auf der Probebühne sind eine nette Abrundung zum Spielbetrieb, ein grenzüberschreitendes Format.


Es ist die Reihe PB Tanz # bei der sich jedes Mal ein weiteres Mitglied der Tanzsparte auf ganz eigene Art und Weise vorstellt. Das nächste Mal bei PB Tanz #5 stellt sich dann am 19. Juli 2019 Diego de la Rosa vor. Man darf gespannt sein wie das dann wird.

Montag, 22. April 2019

Ich bin nicht dies… ich bin nicht das…

© by Theater Bremen
(Bremen) Der letzte von drei Tagen Tanz im Theater Bremen bildete den krönenden Abschluss mit polaroids:remix von Samir Akika und Unusual Symptoms. Viele haben es schon gesehen und waren begeistert. In dieser Spielzeit wieder aufgenommen und updated sieht man 3 Stunden fulminantes Tanz(Theater).

Der gesamte Theaterraum ist eine riesige Installation. An den Wänden sind Papiere drapiert auf denen Gemälde entstehen, auf dem Boden wird mit weißer Farbe gepunktet, unter der Band ist eine Bar eingerichtet, Stangen, Pinwand, Matratzen; jeder Winkel ist mit etwas eingerichtet. Sogar unter der Bühne im Keller gibt es ein Konzert das per Videoübertragung oben zu sehen ist. Und die gesamte Rauminstallation ist kontinuierlich in Bewegung. Eine stille dynamische Bewegung die ungeordnet wirkt, die alltäglich wirkt, aber bei genauerem hinsehen bis ins Detail durchgestaltet ist. Obwohl nichts dem Zufall überlassen ist, sind die Strukturen so locker, leicht, variabel gehalten, dass eine völlig ungezwungene Atmosphäre herrscht. Beabsichtigt ist, dass Publikum und Akteure sich im Raum vermischen. Dadurch entsteht eine privatere Situation wie auf einer großen Party. Und diese Party ist noch dazu gefüllt mit kleinen Events. Mit einer schier überbordenden Fülle kleiner Perlen aus dem Bereich der Untergrundkunst. Wenn man davon ausgeht Tänzer würden nur tanzen, dann hat man sich schwer getäuscht. Hier wird gesungen, gemalt, gespielt, gesteppt, verkleidet, animiert, rezitiert, performt, kurz es werden alle nur erdenkliche Kunstformen nach vorn gebracht. Und das mit einer Spiellaune die ansteckend und verzaubernd ist. Da spritzt eine Frau mit Quasten Farbe auf eine Folie und der dabei entstehende Klang wird zum Teil der gespielten Musik. Auf dem Boden entsteht eine mit wilden Pinselstrichen gezirkeltes Gemälde. Zum Schluss schreibt einer in großen schwarzen Buchstaben darauf „You belong“, dann wird der Papierstreifen zusammen gedrückt und ein einer Ecke entsorgt. Gemacht und schon vergessen, zugunsten von einer neuen Idee. Und so treibt es von Augenblick zu Augenblick. Es wird im Verlauf des Abends zunehmend wuseliger. Man geht über die Bühne und steht plötzlich nur einen Meter einer Tänzerin gegenüber die mit voller Hingabe und mit Kohle auf dem Boden malt. Die Nähe ist sowohl animierend als auch schockierend, eben tough. Das Ensemble hat diese typische New Yorker Gradlinigkeit und Härte, zielorientiert mit klarem Purpose. So schräg und ausgefallen die einzelnen Aktivitäten auch sein mögen, sie sind so ernst vorgebracht als koste es das Leben. Momente wie dieser sind es die dieses Show so reizvoll machen. 

Kunst zu betrachten hat immer eine Distanz und Rationalität, doch wenn die Distanz fehlt wird der Betrachter involviert oder gefesselt. Das Spiel mit diesen Grenzen ist eine große Kunst. Denn wie leicht kann man die Grenze zwischen den Welten überschreiten, wie leicht fühlt man sich angegriffen, oder greift in die fremde andere Welt störend ein. Doch hier ist es von großem Respekt getragen, von Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme. Die Anwesenden koexistieren so natürlich, dass kleine Kinder durch die Performance laufen, niemand mit Farbe bespritzt wurde, keiner in die Versenkung fiel und auch von keinem Mirkofonständer erschlagen wurde. Das herausstechende Verdienst dieser Produktion ist das verständnisvolle miteinander im künstlerischen Kontext. Da wo man eigentlich eine hohes Mass an Kontrolle erwartet sind die Zügel sehr locker. Dies ist eine künstlerische Qualität die mir am Bremer Theater immer wieder auffällt: Das kreative miteinander über Grenzen und Kulturen hinaus.


Unusual Symptoms an diesem Abend waren Marie-Laure Fiaux, Gabrio Gabrielli, Nora Horvath, Alexandra Lorens, Nora Ronge, Lotte Rudhart, Diego de la Rosa, Karl Rummel, Andor Rusu, Young-Von Song und Antonio Stella. Musiker: Simon Camatta, jayrope und Stefan Kirchhoff. Und ich kann nur jedem wünschen der dieses Spektakel noch mit erlebt hat, dass es weitere Vorstellungen geben wird.
www.theaterbremen.de

Tanz aus Norwegen

© by Theater Bremen
(Bremen) Im Rahmen des jazzahead! Festivals 2019 und in Zusammenarbeit Tanz Bremen präsentierten das Ingun Bjørnsgaard Prosjekt aus Norwegen zwei Choreografien: Notes on Frailty und A List of things he said.

Neben dem Musiker Christian Wallumrød erscheinen die Tänzerinnen Catharina Vehre Gresslien, Marianne Haugli, Guro Nagelhus Schia und Ida Wigdel zwischen einer, sagen wir Art Pförtnerloge und Wartebänken wie aus einem Krankenhaus oder Finanzamt, in der matten Dunkelheit. Musik, das sind in diesem Fall Töne, Geräusche, Klänge die mehr einem situativen Ausdruck entsprechen denn einer offensichtlichen Harmonie. Sie kratzen und quietschen, summen und intervallieren und sind in einer Harmonie mit den Tänzerinnen, die einzelne Klänge fortführen, den Klang durch Geste Nachdruck verleihen und so auf eindringliche Weise ergreifen. Ich kann mich nicht eines Gedankens verwehren: den der bizarren Schönheit die Bürde des Lebens mit Würde zu tragen. Die gestalteten Bilder gehen unter die Haut. Es ist da eine Anmut des Schmerzes, der Zerbrechlichkeit die von vier innerlich starken Frauen gezeigt wird. Man sieht die weibliche Fähigkeit mit mehreren Problemen, und zwar echten Schwierigkeiten, gleichzeitig umzugehen. Eingesäumt werden diese Frauen von einem Kosmos aus Kleidern Signe Vasshus´, die die weibliche Schönheit herauskehrt, die Last, die Abgrenzung, den Reiz und Pragmatismus. Es ist dunkel auf der Bühne und nur hin und wieder überrascht ein heller Ausschnitt. Doch die Frauen stehen meist nur am Rande des Lichts während sie, in manchmal irrsinniger Geschäftigkeit, aktiv voran schreiten. Ist es eine düstere Sicht? Jah, nein! Ist es reale Beschreibung was Frau sein bedeutet? Jah, nein! Es ist vielmehr als eine Schwarzweiß Betrachtung. Frailty ist die Gebrechlichkeit vielleicht als der Gegensatz zur männlichen Beständigkeit? Jah, nein! Mich hat diese Choreografie begeistert und hinterfragend mitgenommen. 


A list of things he said, wenn man die beiden überhaupt miteinander vergleichen sollte, ist ehr quadratisch, synchron und zeigt einige Seiten die man Männern immer gerne zuspricht. Die Tänzer hier sind Ludvig Daae, Erik Rulin, Matias Rønningen und Vebjørn Sundby. Dazu kommt ein virtuos in die Tasten greifender Simon Røttingen. Sind Männer wirklich so planvoll wie hier gezeigt? Schon möglich! Mit einigen humorvollen Momenten ist dieser Teil nicht ganz so tiefgründig wie Notes on Frailty, nichts desto trotz ebenso sehenswert. Und das es dem vollbesetztem kleinem Haus im Theater Bremen gefallen hat bestätigt der begeisterte Applaus.

Of Father an Sons

© by Theater Bremen
(Bremen) Zuerst war ich ein wenig verwirrt. Ist Pink Unicorns ein Stück für Kinder und Jugendliche, oder geht es hier um Homosexuallität und was hat das alles mit Tanz zu tun. Und dann, so Schritt für Schritt, wie ich mich so in die Geschichte hineinziehen ließ, entdeckte ich wieder einmal etwas neues im Theater. Es gibt eben so unendlich viele Wege etwas zu erzählen. Und es ist ungemein hilfreich wenn man sich aus den eingefahrenen Formen heraus bewegt und ganz eigene Mitteilungsformen entwickelt. Dabei ist es die Kunst nicht privat zu werden, sondern etwas zu vermitteln das viele angeht. In diesem Fall das Verhältnis von Vater zu Sohn. Auf der Bühne Alexis Fernandez mit seinem 14 jährigem Sohn Paulo. 

Zu Beginn laufen die beiden am vorderen Bühnenrand auf und ab. Der Einlass ist gewesen, das Spiel hat schon begonnen und die beiden laufen immer noch. Sie laufen nicht um die Wette, sie laufen zusammen. Es ist kein Kräftemessen, es ist auch nicht die Herausforderung des älteren an den Filius. Sie laufen gemeinsam, miteinander, und wenn wir auch nur einen Ausschnitt sehen, so schimmert doch später durch das die beiden durchs Leben laufen, nebeneinander und konkurrenzlos, wie in einer Partnerschaft die auf Augenhöhe funktioniert. Eine Utopie breitet sich aus vor den leicht verwirrten Augen, und wie ein Geheimnis wird so nach und nach der Schleier gelüftet über eine im allgemeinen schwer problembehaftete Beziehung. Die Probleme sind alle da, aber wie sie angegangen werden hat etwas zauberhaftes. Die Fragen die der Junge an seinen Vater stellt über die Welt in die er hineinwächst, und die er sich berechtigt von seinem Vater hineingeführt wünscht, sind nicht nur die Fragen des Sohnes. Der Vater steht mit gleichem Staunen, fragend und forschend da und fühlt die Verantwortung der Erklärung in sich. Hier wird ein Elternteil gezeigt das die Weisheit eben nicht mit Löffeln gefressen hat, der sich nicht zu schade ist sich neben seinen Spross zu stellen um mit ihm gemeinsam in die Welt zu schauen die für seinen Sohn noch so neu ist.


Wenn ich ins Theater Bremen komme, habe ich oft das Gefühl in eine multinationale Gemeinschaft von Künstlern zu kommen die eine hochinteressante wie auch interessierte Sicht auf diese uns allen umgebende Welt zu richten. Offen für neue Ideen und offen für Versuche wie wir als Gesellschaft aller Menschen besser miteinander umgehen können. Sprache ist da immer ein großes Thema. An einem Nachmittag zwischen Brauhaus und Noon höre ich mindestens acht verschiedene Muttersprachen die alle bestens miteinander kommunizieren. In Pink Unicorns wird spanisch gesprochen und die wichtigsten Passagen werden in englischer Sprache eingeblendet. Choreograf Samir Akika der aus Algerien stammt spricht französisch und natürlich die universelle Sprache der Bewegung des Tanzes. Eine Bildersprache die es ganz vergessen lässt nicht jedes Wort zu verstehen, denn man versteht eben doch am besten mit dem Herzen.

Montag, 1. April 2019

Wie kann man mit Würde abtreten?

Jonas Vietzke, Helga Lauenstein © Jonas Wömpner
(Hannover) Freund Hain, Gevatter Tod, die andere Seite oder wie Ludwig Hirsch sang: „Komm großer schwarzer Vogel, nimm’ mi fort von hier; am Ende des Lebens steht der Tod - die unausweichlichste Tatsache für jeden von uns. Können wir doch im Leben eigentlich jede Situation verhandeln, bestimmen, organisieren - nur beim Tod da sind wir machtlos. Vielleicht kommt daher die für manch einem beklemmende Angst vor dem letzten Gang. Doch wie man dem Tod begegnet oder gegenübersteht ist von Fall zu Fall verschieden. Das Theater in der Glocksee hat sich dem Thema angenommen mit der neuen Produktion „Freund Hain - Das Spiel des Lebens“ ein beeindruckendes Theater abgeliefert.

Der Raum ist festlich, wenn auch schlicht eingerichtet, in Schwarzweiß gehalten mit nur spärlichen Farbtupfern. Es ist der Moment einer Trauerfeier. Erinnern sie sich noch an die letzte Trauerfeier der sie beiwohnten? Der Gefühlsfächer ist bei diesen Gelegenheiten immer sehr weit aufgeschlagen. Von glatter Verzweiflung bis verschämter Schadenfreude kann man da alles erleben. Auf der theatralischen Trauerfeier an der Glocksee wird dem auf raffinierte Weise eine Bühne geboten, die mit viel Einfühlungsvermögen eine würdevolle, demütige, kurzweilige, kunstvolle Sicht  auf das Unausweichliche wirft. Aus den schier endlosen Möglichkeiten wie man über den Tod nachdenken kann, hat das Ensemble 25 Szenen herausgearbeitet. Und der Unberechenbarkeit des Todes folgend, haben sie mit einem Trauer-Bingo eine Form gefunden diesen Abend zu gestalten. Jeder Teilnehmer/Zuschauer bekommt einen Bingozettel auf dem er ein von 25 Feldern markieren kann. Auf der Bühne werden dann aus einer Lostrommel die einzelnen Felder gezogen. So entsteht an jedem Abend eine völlig eigene Theatershow, eine Revue die es in sich hat. Pro Vorstellung kann man bestenfalls die Hälfte der möglichen Szenen sehen. Es lohnt sich also ein weiterer Besuch. Die Bandbreite der einzelnen Szenen ist der Hammer: von Klamauk  über Wissenschaft, Literatur, und privates bis hin zu Religionen, Tanz, life Music, überraschend Nachdenkliches und vieles, vieles mehr, wird der Tod gründlich unter die Lupe genommen. Man könnte nun annehmen das dieses Thema mit einer gewissen Ambivalenz aufgenommen wird. Doch weit gefehlt: Das Licht im Saal ist immer so, dass sich keiner in seinem Sessel unbemerkt verkriechen kann, es aber auch gar nicht will. Ich habe selten in einem Theater so interessierte Gesichter gesehen wie an diesem Abend. Ein Publikum so involviert und im Herzen berührt zu erreichen ist dem Ensemble also hoher Verdienst anzurechnen. Vor allem schon deswegen weil der Abend zwar nach dem Zufall entstand und dennoch wie aus einem Guss zu erleben war. Also, wann haben sie sich das letzte Mal intensiv mit dem Tod beschäftigt und waren erleichtert, hatten ein Gefühl verstanden worden zu sein? Im Theater an der Glocksee ist das möglich am: 3., 5., 6., 13., 19., 24., 26. Und 27. April jeweils um 20:00.

Auf der Bühne sind zu erleben Uwe Dreysel, den sie auch fulminant am Klavier sehen können, Lena Kußmann, Helga Lauenstein und Jonas Vietzke, Regie führte Milena Fischer-Hartmann auf der Bühne von Birgit Klötzer und in den Kostümen von Hanna Peter sowie im Lichte von Kirsten Müntinga und Julia Schöneberger.


Samstag, 30. März 2019

Alle macht dem Wähler

Füglistaller und Pleß
(Oldenburg) Das Theater Wrede+, in der Klävemannstr. 16, überrascht immer wieder mit einer innovativen Form Theater zu machen. Mit „People Power - A Live Theatre Escape Game“ ist dort eine, man möchte sagen zukünftige, Theatersprache entstanden: ein analoges Computerspiel. Ein Widerspruch? Ja, natürlich, Theater beschäftigt sich immer mit Widersprüchen, jedenfalls wenn es gut ist.

Stellt euch ein Computerspiel vor bei dem ihr ein Avatar einnehmt um als solches verschiedene Stationen im Spiel zu durchlaufen. Ihr bekommt Aufgaben gestellt die es zu lösen gilt um dafür Punkte, sagen wir Sozial-Kredit-Punkte so wie es 2020 in China Standard werden soll, zu erhalten. Vor einem Bildschirm würdet ihr sitzen, festgenagelt und klicktet euch durch einen Pacour um am Ende fest zu stellen einen Punktestand gesammelt zu haben der etwas darüber aussagt wie gut ihr euch geschlagen habt. Mit dem tatsächlich existierenden Spiel People Power haben die Aktivisten im Arabischen Frühling gewaltfreien Protest geleistet. Dort wurde also der spielerische Staatsumbruch geübt. Ein Gedanke daran wie Politik, bei aller Ernsthaftigkeit, auch Spass machen kann. Und ein Bild darüber wie in der heutigen Zeit politisches Engagement aussieht. Die 68er hatten ein klares Feindbild dem sie sich mit aller Kraft oder auch Gewalt entgegenstellten. Heute ist die Gesellschaft vielseitig und voller Variationen, man kann sie systemisch verstehen und eben auch so ehr gestalten als bekämpfen. Und gerade die systemische Betrachtung eröffnet die Identifikation eines jeden in der Gesellschaft. Wo und welchen Platz nimmt der Mensch in diesem riesigen Gefüge der Gesellschaft ein, und wie kann er darin mitwirken?

Winfried Wrede hatte die Idee zu diesem Spielkonzept in der eine Wahl mit einem Game gespielt wird. Man kann Sozialpunkte bekommen die je nach Entscheidungen der Spieler ins + oder - gehen können. In einer geschickten Symbiose von mehreren Stationen die so gestaltet sind, dass spielerisch Aufgaben gelöst werden und darüber hinaus Diskussionen entstehen, und der persönlichen Beteiligung des Publikums ist eine sowohl kurzweilige Unterhaltung, kritische Betrachtung über politische Strukturen und persönliches Engagement gelungen. Die Zuschauer, ein Begriff der hier nicht mehr weit genug greift, sind in Gruppen aufgeteilt und einem von fünf Avataren zugeteilt, in dessen Namen sie durch das Spiel gehen. Das Setting dieses Theaterabends ist mit allen erdenklichen Medien ausgestattet für die Karl-Heinz Stenz verantwortlich zeichnet. Per Video sprechen die autokratische Präsidentin und deren Gegnerin so wie auch die Avatare selbst. In Wahlkabinen liegen Tablets auf denen die Zuschauer verschiedene Aufgaben lösen, Auswertungen werden punktaktuell wie am Wahlabend von Infratest dimap auf einem Bildschirm angezeigt, Beteiligung via Smartphone von Personen die gar nicht im Theater sind und auch nichts von der Vorstellung wissen, und, und, und; kurz das Theater wird ins Leben geholt und das Leben spielt im Theater.

Bei aller Virtualität kommt das Schauspiel, das analoge nicht zu kurz. Z.B. zwei Charaktere fungieren als eine Art Spielleiter auf der Bühne: Die Staatsanwältin, gespielt von Elisabeth Pleß, und die Aktivistin von Danielle Ana Füglistaller. Pleß die, wie eine Nichte Datas vom Raumschiff Enterprise in menschlicher Hülle eine seelenlose Dienerin des Staats spielt, und die nach und nach in einem algothytmischen Datensalat sich zu so etwas wie einen Menschen verwandelt ist eine Freude anzusehen. Füglistaller erinnert an einen Don Quichot, die am Ende …, nun ich will nicht verraten wie es ausgeht, die jedenfalls mit unerschütterlicher Überzeugung und überzeugend für ihre Sache eintritt. Streckenweise ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass das Internet auch nur eine vorübergehende Erscheinung sein könnte, und dass eines Tages Mensch und Maschine koexistieren könnten, an statt sich vielfältiger wechselseitiger Dominanzen hinzugeben. Und dann ist da wieder der Zuschauer, ohne den es wirklich nicht geht. Seine Mitwirkung, seine spielerische Beteiligung hat unmittelbare Auswirkung auf den Spielverlauf, der Wahl und schließlich dem Endergebnis. Das besondere, dass ich hier hervorheben möchte ist die Tatsache nicht bespielt zu werden. Im Theater bin ich normalerweise derjenige der auf die Pointen reagiert, hier bin ich mittendrin; ich erschaffe die Situationen und reagiere darauf. Es ist eine Gemeinschaftsproduktion die sowohl angeleitet wird als auch aus sich selbst heraus entsteht. Das ist eine völlig neue Form der Kultur und des kulturellen Engagement. Ein kulturelles Looking outside the Box.

Einige Vorstellungen sind schon ausverkauft für andere gibt es noch Karten. Ich kann es nur empfehlen sich diese für´s Theater höchst innovative Inszenierung anzusehen, vor allem wenn man mit Kultur zu tun hat oder sich mehr für aktive politische Aktivität interessiert. Nächste Vorstellungen sind am 26. + 27. 04.2019.

Montag, 25. März 2019

Die Stare sind da

(Wanna) Mit dem Frühlingsanfang sind bei mir die Stare eingezogen. Ich habe gestern den ganzen Vormittag damit verbracht das rege treiben vor meinem Fenster zu beobachten. Der Nistkasten, den ich schon im vergangenen Herbst am Baum mit einem verzinkten Draht festgebunden hatte, wurde in den letzten Monaten immer wieder von verschiedenen Vögeln besucht. Hauptsächlich konnte ich immer wieder die Kohlmeisen sehen wie sie die Behausung begutachteten. Eine Taube nutze das Dach auch einmal als Landeplatz, doch ohne weiteres Interesse an dem Kasten.Einige Spatzen nahmen hin und wieder Mass, entschieden sich dann aber doch für etwas anderes. Wahrscheinlich ist das Einflugloch für sie zu groß. Sie bevorzugen nämlich ein Loch mit einem Durchmesser von ca. 35 mm. Ich hatte aber schon beim Baum der Nisthilfe für Stare geplant und das Loch auf 45 mm Durchmesser gebohrt. Ich kenne den Begriff Starenkasten zwar noch aus meiner Kindheit, hatte aber noch nie einen gebaut. Doch nun habe ich endlich Glück und die Stare haben meinen Kasten gefunden. Zuerst sind zwei Stare den Kasten angeflogen und haben ihn von aussen und auch kurzzeitig von Innen betrachtet. Dann kamen weitere Stare hinzu. Ich kenne mich nicht so genau aus, und kann nur vermuten dass es sich um ein weiteres Paar handelte. Jedenfalls wurden die Besichtigungen immer länger abgehalten und jeder durfte mal auf dem Dach sitzen sich auf der Stange davor breit machen und auch für längere Zeit drinnen den Raum auskundschaften. Die Stange ist bei Starenkästen übrigens sinnvoll weil die männlichen Stare gerne vor der Behausung sitzen und ihrer Familie ein Liedchen trällern, wenn sie erstmal heimisch sind und die Brut voranschreitet.  Dann folgte so eine Art Diskussionsphase unter den vier Staren. Zwei saßen im Baum und die beiden anderen am und auf dem Kasten. Es wurde gezwitschert und hin und her geflogen, und schließlich gaben zwei auf und stahlen sich davon. Noch eine Weile verstrich und dann ganz unvermittelt tauschte das verbliebene Paar einen Kuss und stürzte sich unter viel Getue und Lärm zu Boden um dort… , nun sie können sich wohl schon denke was die beiden verliebten Stare so machten. Dann folgte ein etwas anderes Verhalten. Nun flogen sie jeweils einzel zum Kasten, krabbelten hinein, schauten hinaus, wieder rein, wieder raus und flogen davon. Manchmal trafen sie sich am Loch um sich im Innenraum abzuwechseln, manchmal blieben sie auch für eine Weile gemeinsam drinnen. Ich konnte allerdings nicht beobachten, dass sie Nistmaterial heranschafften. Was da also vor sich ging kann ich nicht genau sagen. Und dann nach ungefähr einer halben Stunde tauchten sie nicht mehr auf. Und kaum hatten die Stare das Feld geräumt, kamen die nächsten Besucher, die Kohlmeisen wieder heran. Sie schnupperten kurz, warfen einen Blick ins Innere, und flatterten davon. Ein fetter Spatz hielt sich noch etwas länger im inneren auf und stattete mehrere Besuche ab. Er setzte sich jedesmal auf die Stange und lockte ein Weibchen an. Doch es schien sich keines für ihn zu interessieren. So gegen 12:00 war das ganze regen Treiben plötzlich vorbei. Ich gehe davon aus das die Stare bei Ikea waren und morgen mit einer wohlfeilen Inneneinrichtung wieder auftauchen. Ich werde schon Mal den Mietvertrag fertig machen und ihnen dann morgen früh vorlegen.

Nistkästen baue ich übrigens selber aus gebrauchten Hölzern die ich an verschiedenen stellen einsammle. Weil ich die Hölzer verarbeite die ich gerade zur Verfügung habe, wird jeder Kasten ein Unikat. Die Hölzer das sind Kisten, oder Paletten oder auch Abschnitte vom Bau. Die Bretter sind unbehandelt und bekommen, oder haben bereits, eine graue Patina. So sind die Nistkästen farblich angepasst an die Stämme der Bäume in denen sie in einer Höhe von ca. 2 - 3 Meter angebracht werden. Kasten, Baum und Vogel werden so zu einer natürlichen Einheit, was es den Prädatoren erschwert die Nistkästen zu finden. Die Bretter sind ideal in der Stärke, manchmal sogar etwas überdimensioniert. Somit sind sie dann eben besser gegen Verwitterung stabil. Das Holz ist und bleibt unbehandelt. Denn die Vögel die darin wohnen sollen ja nicht durch Ausdünstungen belästigt werden. Und das Holz hält auch in sehr feuchten Gegenden, so wie im Norden unserer Republik, viele Jahre. An der Seite unten über dem Boden kann man ein Brett herausschrauben und so den Kasten im Spätsommer reinigen. Damit verhindert man, dass Flöhe und Milben die nächste Brut belästigen. Man sollte übrigens davon Abstand nehmen irgendwelche Insektizide zu benutzen um den Kasten keimfrei zu bekommen. Das ist nicht nötig, wie man auch beim Nabu erfährt.


Die Nistkästen wie hier beschrieben vertreibe ich über die Firewood Art Solutions UG, Kastanienbogen 8, 21776 Wanna, eine Gesellschaft die ich im vergangenen Jahr gegründet habe. Ein Kasten kostet 16,00€ zuzüglich Versand. Bestellungen nehme ich unter eigene.werte@t-online.de gerne entgegen. Und nun wünsche ich ihnen allen viel Spass mit dem frei lebenden Federvieh welches unser aller Fauna nachhaltig bereichert.

Montag, 18. März 2019

Der Weg zum Glück

© J. Landsberg
(Bremen) Es ist die Frage mit der sich wohl jeder beschäftigt, die Frage nach dem Glück und wie man es erlangt. Mit der neuen Tanz Produktion des Choreografen Samir Akika und Unusual Symptoms am Theater Bremen wird eine aussergewöhnlich deutliche Sicht auf das Streben nach Glück gerichtet. Eine turbulente Revue die sich immer um den Ausgangspunkt dreht, einer verzweifelten Suche gleich, und dann zum Schluss zu einer möglichen Antwort gelangt.

Diese Choreografie ist mutig. Nicht nur weil viele halsbrecherische Situationen darin erscheinen, sondern weil die Wahl der Ästhetik etwas so bestechend gewöhnliches hat. Man sieht eine Frau mit einem Staubsauger ganz konkret den Boden saugen. Ein Paar spielt so etwas wie sching-schang-schung, jemand liegt auf dem Rasen und blickt in den Himmel. Handlungen die so aus dem Leben gegriffen sind, dass eine künstlerische Gestaltung oder Überzeichnung zu fehlen scheint. Es ist als würde man einen Spiegel vorgehalten bekommen. Das Bühnenbild unterstreicht das noch einmal mit Kunstrasen und Gartenzaun, Sperrmüll und Mutterboden. Es schmerz schon fast zuzusehen, weil man in den zig Situationen die nach und nach ineinander übergehen, und so punktgenau wiedererkennbar sind, sein eigenes Bestreben auf der Suche nach dem Glück erlebt. Es ist ein schmaler Grad auf den uns Samir Akika hier schickt, ein schmaler Grad zwischen dem Gefühl ertappt worden zu sein bei der eigenen Gier nach Glück und grad noch darüber lachen zu können. Eine unermessliche Fülle verschiedener Aktivitäten prasseln aus diesem dynamischen Wirbel heraus. Und keine scheint auch nur annähernd eine Lösung auf die Frage zu bieten. „Will happiness find me?“ Aber seinen wir doch ehrlich: Warum sollte sich das Glück auf den Weg zu uns machen?

„Will happiness find me?“ impliziert ein vom Schicksal gesteuertes Phänomen. Es passiert oder eben nicht. Doch tatsächlich unternehmen wir alles nur erdenkliche um die Leere in uns zu füllen, das Vakuum das wir für das Glück bereithalten. Vielleicht glauben wir ja, dass wir uns irgendwie vorbereiten müssten um das Glück einzuladen: schöner aussehen, sportlich, reich, intelligent oder sonst was sein, geordnetes Zuhause, Gartenzaun, singen, chillen, schaukeln und wer weis was noch alles… Die auf der Bühne jedenfalls strampeln sich in allen erdenklichen Möglichkeiten, bis hin zur seelischen Erschöpfung, ab. Und in den Momenten der Erschöpfung tritt hin und wieder ein Augenblick der Kontemplation ein. Dem jeweiligen Augenblick nachspüren, ihm Raum geben, die Stille nicht füllen sondern aushalten. Diese Momente sind der Hoffnungsschimmer auf ein erfüllendes Ende, dem Eintritt des Glücks. Und ja, es gibt selbstverständlich große und kleine Glückserlebnisse. Und auf der Bühne sehen wir immer wieder krasse Überraschungen, die ich hier nicht verraten werde. Denn es sind wunderschöne Augenblicke wenn das gesamte Publikum sich erstaunt von diesen kreativen Wendungen mitreissen lässt. Und dann hat die happiness ihren Dienst getan. Also kann man dem Glück vielleicht doch den Boden bereiten?

Nun, es ist eine mutige Konfrontation, die man zu sehen bekommt. Weil sie auf so unverhohlene und direkte Art einen mit Scham verdecken Lebensbereich anspricht. Und natürlich ist hier die Kunst besonders gefragt auf sehr sensible Weise sich dem anzunähern. Diese Aufgabe hat das Ensemble wundervoll gemeistert. Denn die Arbeit wurde mit donnerndem Applaus belohnt.


Weitere Vorstellungen sind am 21.03., 13.04. und 21.04. www.theaterbremen.de

Donnerstag, 14. März 2019

Probenbesuch an der Glocksee

(Hannover) Es ist ein besonderer Moment wenn man Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess erlangt. Dass das Theater an der Glocksee für diesen Moment hinter den Kulissen ein Programm mit dem Titel: Very Interested Persons aufgestellt hat trifft den Kern der Sache. Gestern trafen sich wieder eine ganze Reihe sehr interessierter Menschen. Zu sehen gab es einen schon überraschend weit fortgeschrittenen Szenenrahmen der neuen Produktion mit dem Titel: „Freund Hain“.

„Freund Hain“ ist der Tod. Wie kann der ein Freund sein, wo wir uns doch alle mehr oder weniger vor ihm fürchten? Nun, es ist möglich! Wenn man so wie das Ensemble das Tabu bricht und offen darüber spricht und spielt. Eine weitreichende Recherche liegt diesen Szenen zugrunde. Es gibt viele Momente in denen der unabwendbare Augenblick des Ablebens von allen Seiten beleuchtet wird. Bei diesem Probenbesuch konnte man schon einen beeindruckenden Geschmack bekommen wie vielseitig, kurzweilig, kreativ, überraschend, tragisch die Inszenierung werden wird.

Aber das besondere an dem Probenprozess vor interessiertem Publikum ist die Teilhabe. Nach dem gezeigten Ausschnitt gab es eine Runde in der ein konkretes Feedback eingefordert und gegeben wurde. Dadurch wird die Tür zu einer dramaturgischen Einführung durch Mitgestaltung geöffnet. Die Grenze zwischen darstellender Kunst und dem Zuschauer wird durchlässig. Man muss als Mensch im Publikum nicht unbedingt vertraut sein mit den handwerklichen Können der Theaterschaffenden, denn das Ensemble hörte sehr aufmerksam zu, und verstand es ein Verständnis zu reflektieren. Andererseits ist das von aussen gegebene Feedback auch eine Hilfe für die Theatermenschen, um die einen oder anderen Zweifel in der Verständlichkeit zu glätten. Diese Form der Teilhabe öffnet auch einen Spalt zu einer intensiven kulturellen Bildung. Es geht eben nicht nur um Inhalte, sondern auch darum wie man Inhalte verständlich macht. Man könnte hier von einem qualifizierten Dialog sprechen, der vor allem mit großem Respekt geführt wurde. Und das ist doch eine Art zu kommunizieren wie sie wünschenswert ist.


Wer an dieser besonderen Theaterbegegnung noch teilnehmen möchte hat die Chance beim 2. Probenbesuch am 22. März um 19:30. Eine Anmeldung ist ratsam da die Teilnehmerzahl begrenzt ist. Übrigens hat auch schon der Kartenverkauf für „Freund Hain“ begonnen. Premiere ist am 29. März um 20:00. www.theaterglocksee.de