Kassandra Speltri © Jonas Wömpner |
(Hannover) Hannah Arendt wurde in Hannover Linden geboren und ist laut Wikipedia politische Theoretikerin. Die Punk Band Pisscharge sind auch aus Hannover (mit Migrationshintergrund) heute dort aktiv und alles andere als Theoretiker. Sie sind nicht bei Wikipedia zu finden. Krasse Positionen die hier mit einer Frage zusammenkommen: Wie geht Freiheit? Es wird im Theater an der Glocksee ein wohlrecherchiertes Ideenfeuerwerk abgebrannt, dass wieder einmal zeigt wie lebendig freies Theater ist.
Eine der großen Herausforderungen am Theater ist der lineare Verlauf von Zeit. Wird etwas in diesem Schema erzählt ist Langeweile garantiert. Stellt man aber Fragen, so wie Lena Kußmann das tut, dann kommt eine mitreissende Dynamik ins Spiel. So wird hier Hannah Arendt in drei Stationen ihrer Lebens dargestellt (von Andrea Casabianchi, Ronja Donath, Laura Jakschas) und kann so mit sich selbst in Austausch treten. Interessanter Ansatz: denn was bleibt über von einer historischen Person in der Erinnerung des einzelnen? Eine Momentaufnahme? Momente ihres Wirkens? Oder sind es die Themen, Fragen, Provokationen etc., die eben jene Person aufgeworfen hat? Nun wird plötzlich nicht mehr die Person Hannah Arendt im Mittelpunkt stehen sondern das was sie tat, dachte, vermittelte etc. Eben die Sache. Und die ist bei diesem Theaterprojekt die Frage nach der Freiheit. Hand aufs Herz: Was Freiheit ist, ist das nicht eine der schwierigsten Fragen überhaupt? Und in einer Zeit in der so viele konkrete Fragen zur Disposition stehen wie: Klimawandel, Datenschutz, Migration, Rechtsruck, Waffenhandel, Autokraten etc.; ist es da nicht erfrischend einmal die Fragen auf das Elementare zu richten warum wir alle hier sind? Die großen Fragen des Hierseins auch eine wesentlich Aufgabe von Theater überhaupt! Wir könnten auf Grund von Evolution und technischer Entwicklung weltweit so frei sein wie noch nie, aber sind wir nicht alle auf die eine oder Art Sklaven von: Sicherheitsdenken, Besitzverteidigung, Meinungen, Regeln über Regeln gestützt in einem Korsett der Rechtsstaatlichkeit?
Casabianci, Donath, Jakschas, Speltri © Jonas Wöpner |
Hannah Arendt gegenüber stehen die Punks. (Kassandra Speltri, Nico Tiekötter, Cristobal Camiruaga, Joao Guilherme) Sie schreien die gefühlte Unzufriedenheit laut raus. Sie verkörpern das Prinzip des „anders seins“ so laut und konsequent wie niemand sonst. Sie leben einen Stil der nicht in langen wohlgefeilten Diskussionsbeiträgen vorgetragen wird. Ihre Kunst ist ökonomisch auf höchstem Niveau. Sie hauen dir die Fakten um die Ohren, unverblümt und mit klarer Emotion. Sie stellen sich ihrer Situation, der Enge, der Beschränkung, der Restriktionen in dem sie einfach nicht Kompromiss bereit lavieren. Kein Punk benutzt so um tausend Ecken gedrechselte Sätze wie die Arendt, deren Sätze man zehn Mal lesen und überdenken muss um eine Ahnung zu bekommen wovon sie da spricht. Aber, das ist keine Frage der Intelligenz, sondern eine Frage was man zu erreichen gedeckt und was man bereit ist dafür zu tun.
Nach der Groteske im Frühjahr (dem Milchstraßenknurren) ist dies eine weitere mutige und Rahmen sprengende Arbeit die das Ensemble an der Glocksee vorstellt. Eine Punk Band auf der Bühne (Hörschutz wurde bereitgestellt) kreatives Chaos das nie aus dem Ruder läuft in einem Paletten-Bauzaun-Autoreifen Gerümpelhaufen der einer 60er Jahre TV-Bühne gegenübersteht (Britta Bremer), eine vielschichtige Erzählweise die an Filme wie „Dritte Person“ von Paul Haggis oder „I´m not there“ von Todd Haynes erinnert und ein multimedialer Aufwand (Jonas Vietzke, Kirsten Müntinga) der nie Selbstzweck ist. Mit Hannah und der Punk oder wie geht Freiheit ist dem Theater an der Glocksee wieder ein theatrales Feuerwerk gelungen. Kein Wunder das die beiden Vorstellungen 16.10. und 18.10. schon ausverkauft sind. Weitere Vorstellungen sind am 25., 26., 30 Oktober und 1., 2., 6., November. Tickets unter www.theater-an-der-glocksee.de
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