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Samstag, 30. Juni 2018

Studio Moves der BallettCompagnie Oldenburg

Marié Shimada © Stefan Walzl
(Oldenburg) Die Ballett Compagnie Oldenburg gab gestern einen fantastischen Abend auf der Probebühne 1 in der Cäcilienstr. hinter dem Theater unter dem Titel „Studio Moves“ Das Wetter war schön die Stimmung vor der Premiere der drei Uraufführungen war erwartungsvoll und beschwingt. Doch leider hatte niemand daran gedacht wo das knapp hundertköpfige Publikum Platz nehmen sollte um die Tänzer bei ihrem schaffen zu sehen. Sechs Reihen auf gleichem Level mit dem Tanzboden und zwei auf flachen Podesten. Ab der dritten Reihe konnte man nur in kleinen Sichtfeldern einen Blick auf die Bühne erhaschen.

Penseur, so der Titel des ersten Stücks, dass bis zur Pause dauerte, wurde von Musikern auf der Bühne begleitet. Timothée Cuny der die Musik komponierte sang in französischer Sprache zu den einfühlsamen Klängen von Klavier, Cello und Loop Gerät. Die Choreografie wirkte sehr kraftvoll, gespannt, strotzende Energie und ließ Raum für Assoziationen wie Wut, Enttäuschung und Verzweiflung. Irgendwo war Nebel und zwei Ventilatoren machten Wind, doch durch den kleinen Ausschnitt den ich am Mittelgang hatte, konnte ich das gesamte nie sehen. Man muss sich vorstellen ein Buch zu lesen in dem jede 2. oder 3. oder 4. Seite herausgerissen wurde; Sie verstehen? Man verliert einfach den Faden, bemerkt nur Bruchstücke die aus dem Ganzen heraus genommen wurden. Und wenn ein Tänzer oder eine Tänzerin durch das 2 Meter kleine Sichtfenster huscht erkennt man zwar die kunstvolle Aktivität, aber keinen Sinn, keine Emotion, keine Ästhetik.

Nach der Pause, in der der Raum schön gelüftet wurde, kam die Choreografie von Floriado Komino mit der Tänzerin Marié Shimada und dem Tänzer Lester Rene González Álvarez und dem Stück Palm Trees and Cherry Blooms. Diesmal hatte ich Glück, denn große Teile des Stücks spielten sich direkt vor meinem Bildausschnitt ab. Und ich bin gerne bereit zu gestehen, dass ich voller Bewunderung meinen Hut vor diesen beiden Tänzern und dem Choreografen ziehe. Zwei Fremde aus unterschiedlichen Gegenden der Erde treffen sich und durchleben alle Facetten die Beziehungen zu bieten haben. Komino versteht es mit knappen Bildern eine Welt der Erfahrungen im Betrachter zu erzeugen. Und wie es Chaplin schon herausfand, kann man über die Dinge die schmerzen besser Reflektieren wenn man auch darüber lachen kann. Eine ergreifende Kunst des dramakomischen wurde da von dem Tanzpaar geboten, von dem man sich wünschte alle im Publikum könnten es sehen. Doch spielte sich einiges im Tanz auf dem Boden ab, was nur von der ersten Reihe gesehen wurde und von denen die sich mittlerweile am Rand des Raumes einen Stehplatz ergattert hatten.

Es gab noch eine dritte Choreografie  „Paradigme“ von Maelenn Le Dorze. Und man darf ohne Einschränkung sagen an diesem Abend trat ein stark motiviertes und engagiertes Ensemble auf, welches eine ergreifenden Show zeigte. Nur hatte niemand an die Tribüne gedacht. Warum ich immer wieder darauf zu sprechen komme, es nicht einfach gut sein lassen kann? Weil es den Tänzern und Choreografen gegenüber eine masslose Respektlosigkeit ist. Im Tanz kommt es darauf an präzise zu arbeiten. Genau auf den Takt zu treffen, ja auf einzelne Noten eine Geste beginnen oder enden lassen, ein Lichtwechsel der ein kurzes Bild entstehen lässt muss exakt auf den Punkt kommen. Das erfordert eine besondere Art der Hingabe, ein Commitment, eine Weise in der man sich einer Aufgabe verschreibt um etwas größeres entstehen zu lassen. Und diese Anforderungen hat das Ensemble erfüllt, durch eine lange Ausbildung voller Qualen, täglichen Trainings, ein Leben auf Reisen wie Flüchtlinge im Namen der Kunst, wochen- wenn nicht monatelange Proben, eben eine harte körperliche Arbeit für nur drei Auftritte verzückender Schönheit - und dann stellt niemand die Stühle hin das man es auch sehen kann? Das ist kafkaesk! Und dann das Publikum! Alle gaben berauschenden Beifall - doch wofür? Das Gemunkel über die schlechte Sicht war rundherum Gesprächsthema. Warum aber stand das Publikum nicht auf und forderte eine ordentliche Sitzordnung? Ich frage: wie gering sind die Ansprüche an Kunst und Kultur in diesem Land, wenn stillschweigend alles akzeptiert wird was man so achtlos vorgesetzt bekommt.

Studio Moves gibt es noch heute und morgen Abend. Gehen sie hin, denn es ist ein Erlebnis sofern sie sich einen guten Platz ergattern können.

Freitag, 29. Juni 2018

Keramische Kunst mit kreativem Eigensinn

Isabell Kamp "Every time I reach for you I grab space
instead" © VG Bild-Kunst Bonn
(Oldenburg) Etwas ist immer gesagt wenn Menschen aufeinander treffen. Ob mit Worten oder Blicken oder, wie die Künstlerin Isabell Kamp im Pulverturm am dem 1. Juli zeigen wird, vor allem in der Geste, der unvermeidlichen Körpersprache. Zur Eröffnung der Ausstellung „Capriccio“ am Sonntag um 11:15 bei der Kamp anwesend sein wird, gibt die Kuratorin Dr. Sabine Isensee eine Einführung in die Arbeiten.

„Capriccio“ was auf einen krausen Kopf schließen ließe, einen Kopf der launenhafte, eigenwillige oder auch überraschende Gedanken birgt, kann hier als eine anregende Haltung zu Kommunikation verstanden werden. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Installation „The Conflict“. Hier geht es um Schutz und Verteidigung. Doch die einzelnen Keramiken sind fragil und können gebrochen werden, so wie der Mensch eben auch. Da sind ein Brust- und Rückenpanzer mit Lederriemen verbunden; die wirken als könne man sie wirklich in einer kämpferischen Auseinandersetzung anlegen. Doch schon der erste Hieb würde sie zerbrechen. Dieses Paradox wiederholt sich auch im Schild dem Helm und den Manschetten. Dazu kommt, dass die Teile mit einer Glasur überzogen sind die wie nackte schutzlose Haut wirkt. Die zum Schutz dienenden Elemente sind somit eine Wiederholung der Haut mit ihrer Schutzfunktion selbst. Das kann man als eine Rückbesinnung auf die ureigenen Möglichkeiten des eigenen Körpers verstehen. Oder anders gesagt: Wenn wir Konflikte mit martialischer Waffengewalt als Mittel der Verständigung zu lösen versuchen, warum nicht miteinander kommunizieren mit den Mitteln die uns natürlich zur Verfügung stehen? Das bringt mich dazu das Mobile aus Händen mit dem Titel „Every time I reach for you I grab space insead“ zu erwähnen. Fünf Hände mit unterschiedlichen Gesten schweben federleicht im Raum aufeinander zu und können sich dennoch nie erreichen.

Die Arbeiten von Isabell Kamp haben etwas von Hoffnung, Sehnsucht und Ausweglosigkeit. Sie zeigen beide Seiten der Medaille. Doch zeigen sie sowohl die Schwierigkeiten als auch die Möglichkeiten die in der Kommunikation liegen. Konflikt und Verständigung, Fürsorge oder Manipulation, Respekt oder Macht, Unterstützung oder Beherrschung. Hände, Münder, Arme, Finger oder Worte wie Schrotkügelchen - immer sind es Körperteile, einzeln isoliert zu betrachtende Teile und nie der ganze Körper. Und diese Körperteile wirken real, lebendig als würden sie atmen. Die Farbgebung, die Glasur, die intime Formgebung lassen einen Eindruck von abstossender Schönheit entstehen. Das Ambivalente ist immer mit dabei, die Spannung zwischen Beständigkeit und Zerbrechlichkeit, so wie die Kommunikation zwischen Menschen auch immer aus mitteilen und zuhören besteht. So sind die Keramiken von Isabell Kamp nicht nur Materie sondern fortgesetzte Reflektion, in Ton gebrannte Gestik die sich weiter bewegt.

Die Ausstellungsreihe „Keramik im Pulverturm“ zeigt junge Talente die durch überraschende Positionen beeindrucken. Die Ausstellung kann in der Zeit vom 1. Juli bis zum 12. August Fr. von 14:00 bis 17:00 und Sa./So. von 11:00 bis 17:00 besucht werden. Am Dienstag den 3. 7. findet um 10:15 eine kostenlose Führung mit der Kuratorin statt. Anmeldung bitte unter Tel.: 0441-235 2781. Weitere Führungen mit dem Kunstvermittler Dirk Meyer sind am 8.7. , 22.7. + 5.8. jeweils um 14:00. Zu diesen Führungen, die 3,00€ pro Person kosten, bedarf es keiner Anmeldung. Zur Ausstellung ist ein 80 seitiger Katalog mit vielen wertvollen Informationen erschienen.

Freitag, 15. Juni 2018

Menschen brauchen Raum um zu wirken

Casabinachi, Lauenstein, Vietzke © by Wömpner
(Hannover) Wann waren sie das letzte Mal im Theater und hatten das Gefühl einen rundherum gut gestalteten Abend zu erleben. Am Mittwoch im Theater an der Glocksee mit der Premiere von „Der letzte Nerv“ gab es genau dieses Erlebnis. In einer fiktiven psychosomatischen Klinik treffen Therapeuten und Patienten aufeinander und dringen mit viel Humor und Poesie in die Tiefen von „Bore Out“ und „Orthorexie“. Was sich zunächst vielleicht ein wenig sperrig anhört wurde in der Regie von Lena Kußmann, die bei dieser Projektentwicklung auch den Text verfasste, auf höchst amüsante Weise in Szene gesetzt.

Therapeuten und Patienten werden von den selben Schauspielern dargestellt. Die Unterschiede der beiden Personengruppen sind zuerst klar getrennt, doch schon bald verwischen die Grenzen. Ein Doktor der Klinik ist selbst in Behandlung wegen eben der Beschwerden die er behandelt. Und was sich in den Teambesprechungen der Therapeuten abspielt ist die andere Seite der selben Medaille mit einer bedenkenswerten Konnotation. Es stellt sich schon sehr bald die Frage wer eigentlich nicht an der Welt mit all ihren Anforderungen leidet? Und was kann diese spezielle psychosomatische Klinik in punkto Heilung überhaupt leisten? Läd man hier lediglich seinen Akku wieder auf um bis zur nächsten Kur zu funktionieren?

Theaterthemen sind in unserer Zeit nicht einfach einzugrenzen. Unsere Welt ist systemisch; spricht man über eine Sache so sind zig andere Sachen gleich mit angesprochen. Unsere Welt ist komplex und vielschichtig; jeder kennt den Stress den wir uns aussetzten um allem gerecht zu werden. Und werden wir es nicht, fallen wir in Depression. Das können wir natürlich nicht zugeben, weil scheitern unser Selbstbild und Selbstvertrauen verletzt. Wir sind ständig in Konflikt mit den unzähligen aufeinander folgenden Situationen des Lebens. Wen wundert es da wenn sich die Zahl der Fehltage am Arbeitsplatz wegen psychischer Erkrankungen seit 2006 quasi verdoppelte. Über die Gründe für diese Entwicklung kann man bisher nur spekulieren. Was Theater aber leisten kann, und das ist dem an der Glocksee bemerkenswert gut gelungen, ist, dass die Besucher nachvollziehbare Erfahrungen auf der Bühne sehen und beginnen über sich und ihr Leben zu reflektieren. Und das war dann auch der Tenor der Gespräche nach der Vorstellung draußen in kleinen Gruppen beim Wein in der Abendsonne. Und gelungen ist es dem Ensemble weil sie eine Ebene gefunden haben die sperrigen und peinlichen Momente in Humor zu fassen, so dass sie die Menschen erreichten. Eine Kunst welche dem Theater wieder die Ernsthaftigkeit verleiht schweres leicht zu servieren und es vom Publikum im Herzen nach Hause zu tragen. 

Teil dieser künstlerischen Ebene ist das Lichtkonzept. Der Theaterraum ist ein schwarzer Klotz, doch unsere heutigen Sehgewohnheiten werden massgeblich durch Filme und deren technischen Möglichkeiten geprägt. Um den Erwartungen zu entsprechen ist der Raum hier in verschiedene Bereiche mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeteilt. da gibt es drinnen und draußen, private und öffentliche Räume, es gibt Gruppenräume und Traumorte, Arbeitswelten und Kindheitserinnerungen. Die Klinik im eiskalten Neonlicht, die Kneipe mit nikotinverschmierter Glühbirne, die Höhle aus Kindheitstagen im warmen Erinnerungslicht, der Park unter schattigen Bäumen und die Raucherecke in einem feuchten Mauerwinkel. All diese Räume entstehen, natürlich durch das Spiel der Darsteller Helga Lauenstein, Andrea Casabianchi und Jonas Vietzke, aber wesentlich auch durch die wohlüberlegte Beleuchtung von Kiri Müntinga und Julia Schöneberger.

Als einen weiterer Beitrag zu diesem gelungenen Theaterabend darf man die Einbeziehung des Publikums nennen. Wir alle kennen die endlos vielen Versuche den Zuschauer zu involvieren. Das geht so weit, dass bei manchen Vorstellungen niemand mehr zu bewegen ist in der vorderen Reihe Platz zu nehmen. Die aktive Animation, als Betrachter vor Scham eingeschüchtert und fürchtend im Rampenlicht stehen zu müssen, fand nicht statt. Statt dessen öffnete sich das Spiel auf natürliche Weise und glitt zurück in die Fiktion der Bühne, ohne dass man als Zuschauer merkte mitzuwirken und dennoch das Gefühl hatte voll involviert zu sein. Dieses Gefühl von intensivem Erleben kann keine Guckkastenbühne leisten, das ist die Sprache des Films in 3D. Dann findet Theater nicht nur auf der Bühne statt, sondern im Besucher, seiner Welt und seiner Erfahrung. Oder um es mit einem Zitat aus dem Stück zu sagen: „Dinge brauchen Raum damit wir sie wahrnehmen können.“ Und genau dieser Raum wurde hier geschaffen und gegeben. Ich kann „Der letzte Nerv“ nur wärmstens empfehlen. Die Kunst des Theaters atmet hier den Geist des 3. Jahrtausends.

Weitere Termine: 20. und 27. Juni; 7., 8., 12., 14., 15., 19., 21., 22., 26., 28. und 29. September; 3. Oktober 2018 Beginn jeweils 20:00.

Karten unter 0511 - 161 3936 oder www.theaterglocksee.de