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Freitag, 26. April 2019

Antonio Stella

(Bremen) Italienischer Abend auf der Probebühne Tanz am Theater Bremen, die Leute kommen zu Hauf. Der Raum ist in einem dämmerigen Licht getaucht. Antonio Stella, festes Mitglied der Tanz Kompanie Unusual Symptoms, hockt in der Mitte des riesigen Stuhlkreises zwischen Blumen und Erde. Der Garten seiner Grossmutter aus seiner Heimat Palermo. Hier spielte er mit den Topfblumen als Kind die Situationen nach, wie sie auf den Straßen Palermos üblich waren. Der Ort seiner Jugend und Inspiration. In kleinen Etüden berichtet er von zahlreichen Erlebnissen. Auf der Piazza Politeama in der sizilianischen Hafenmetropole traf er sich mit Altersgenossen und verbrachte seine Jugend. Erste Liebe, Briefe unter Freunden, Träume und Sehnsüchte zu Beginn des Lebens, all das erlebte er dort.

Es ist eine Klubatmosphäre, gleichgesinnte Neugierige haben sich hier versammelt um etwas persönliches über den Menschen zu erfahren der in vielen Tanz Produktionen für sie auf der Bühne steht. Die Leute sind geduldig und gebildet. Denn es dauert einen Moment bis man so richtig versteht worin man gerade eingeweiht wird, und es wird kaum ein Wort deutsch gesprochen; italienisch ist ja wohl so etwas wie die zweite Muttersprache der Deutschen. Die kleinen Anekdötchen wechseln mit Liedern aus der Heimat und/oder seinem Leben, seinem Werdegang als Tänzer. Das Spiel seiner Biografie reichert Stella mit den Gegenständen an die wir alle mit Italien verbinden. Da sind natürlich die Schuhe, Gebäck das Erinnerungen an der Pate aufkommen lässt, genauso das Olivenöl, Sonnenbrille, Dessertwein und Aqua Minerale, und und und…. Jemand erzählt von seinem Leben, aber nicht nur privat, sondern in einer künstlerisch gediegenen Form. Es geht eben nicht nur um die Person, es geht auch darum wie man transkulturell miteinander und aufeinander trifft. Eine sehr herzlichen  Begegnung zwischen denen die Kunst machen und denen die sich ein bisschen mehr dafür interessieren. Und wie der Abend zeigte wurden alle menschlich reich beschenkt. Diese kleinen Veranstaltungen auf der Probebühne sind eine nette Abrundung zum Spielbetrieb, ein grenzüberschreitendes Format.


Es ist die Reihe PB Tanz # bei der sich jedes Mal ein weiteres Mitglied der Tanzsparte auf ganz eigene Art und Weise vorstellt. Das nächste Mal bei PB Tanz #5 stellt sich dann am 19. Juli 2019 Diego de la Rosa vor. Man darf gespannt sein wie das dann wird.

Montag, 22. April 2019

Ich bin nicht dies… ich bin nicht das…

© by Theater Bremen
(Bremen) Der letzte von drei Tagen Tanz im Theater Bremen bildete den krönenden Abschluss mit polaroids:remix von Samir Akika und Unusual Symptoms. Viele haben es schon gesehen und waren begeistert. In dieser Spielzeit wieder aufgenommen und updated sieht man 3 Stunden fulminantes Tanz(Theater).

Der gesamte Theaterraum ist eine riesige Installation. An den Wänden sind Papiere drapiert auf denen Gemälde entstehen, auf dem Boden wird mit weißer Farbe gepunktet, unter der Band ist eine Bar eingerichtet, Stangen, Pinwand, Matratzen; jeder Winkel ist mit etwas eingerichtet. Sogar unter der Bühne im Keller gibt es ein Konzert das per Videoübertragung oben zu sehen ist. Und die gesamte Rauminstallation ist kontinuierlich in Bewegung. Eine stille dynamische Bewegung die ungeordnet wirkt, die alltäglich wirkt, aber bei genauerem hinsehen bis ins Detail durchgestaltet ist. Obwohl nichts dem Zufall überlassen ist, sind die Strukturen so locker, leicht, variabel gehalten, dass eine völlig ungezwungene Atmosphäre herrscht. Beabsichtigt ist, dass Publikum und Akteure sich im Raum vermischen. Dadurch entsteht eine privatere Situation wie auf einer großen Party. Und diese Party ist noch dazu gefüllt mit kleinen Events. Mit einer schier überbordenden Fülle kleiner Perlen aus dem Bereich der Untergrundkunst. Wenn man davon ausgeht Tänzer würden nur tanzen, dann hat man sich schwer getäuscht. Hier wird gesungen, gemalt, gespielt, gesteppt, verkleidet, animiert, rezitiert, performt, kurz es werden alle nur erdenkliche Kunstformen nach vorn gebracht. Und das mit einer Spiellaune die ansteckend und verzaubernd ist. Da spritzt eine Frau mit Quasten Farbe auf eine Folie und der dabei entstehende Klang wird zum Teil der gespielten Musik. Auf dem Boden entsteht eine mit wilden Pinselstrichen gezirkeltes Gemälde. Zum Schluss schreibt einer in großen schwarzen Buchstaben darauf „You belong“, dann wird der Papierstreifen zusammen gedrückt und ein einer Ecke entsorgt. Gemacht und schon vergessen, zugunsten von einer neuen Idee. Und so treibt es von Augenblick zu Augenblick. Es wird im Verlauf des Abends zunehmend wuseliger. Man geht über die Bühne und steht plötzlich nur einen Meter einer Tänzerin gegenüber die mit voller Hingabe und mit Kohle auf dem Boden malt. Die Nähe ist sowohl animierend als auch schockierend, eben tough. Das Ensemble hat diese typische New Yorker Gradlinigkeit und Härte, zielorientiert mit klarem Purpose. So schräg und ausgefallen die einzelnen Aktivitäten auch sein mögen, sie sind so ernst vorgebracht als koste es das Leben. Momente wie dieser sind es die dieses Show so reizvoll machen. 

Kunst zu betrachten hat immer eine Distanz und Rationalität, doch wenn die Distanz fehlt wird der Betrachter involviert oder gefesselt. Das Spiel mit diesen Grenzen ist eine große Kunst. Denn wie leicht kann man die Grenze zwischen den Welten überschreiten, wie leicht fühlt man sich angegriffen, oder greift in die fremde andere Welt störend ein. Doch hier ist es von großem Respekt getragen, von Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme. Die Anwesenden koexistieren so natürlich, dass kleine Kinder durch die Performance laufen, niemand mit Farbe bespritzt wurde, keiner in die Versenkung fiel und auch von keinem Mirkofonständer erschlagen wurde. Das herausstechende Verdienst dieser Produktion ist das verständnisvolle miteinander im künstlerischen Kontext. Da wo man eigentlich eine hohes Mass an Kontrolle erwartet sind die Zügel sehr locker. Dies ist eine künstlerische Qualität die mir am Bremer Theater immer wieder auffällt: Das kreative miteinander über Grenzen und Kulturen hinaus.


Unusual Symptoms an diesem Abend waren Marie-Laure Fiaux, Gabrio Gabrielli, Nora Horvath, Alexandra Lorens, Nora Ronge, Lotte Rudhart, Diego de la Rosa, Karl Rummel, Andor Rusu, Young-Von Song und Antonio Stella. Musiker: Simon Camatta, jayrope und Stefan Kirchhoff. Und ich kann nur jedem wünschen der dieses Spektakel noch mit erlebt hat, dass es weitere Vorstellungen geben wird.
www.theaterbremen.de

Tanz aus Norwegen

© by Theater Bremen
(Bremen) Im Rahmen des jazzahead! Festivals 2019 und in Zusammenarbeit Tanz Bremen präsentierten das Ingun Bjørnsgaard Prosjekt aus Norwegen zwei Choreografien: Notes on Frailty und A List of things he said.

Neben dem Musiker Christian Wallumrød erscheinen die Tänzerinnen Catharina Vehre Gresslien, Marianne Haugli, Guro Nagelhus Schia und Ida Wigdel zwischen einer, sagen wir Art Pförtnerloge und Wartebänken wie aus einem Krankenhaus oder Finanzamt, in der matten Dunkelheit. Musik, das sind in diesem Fall Töne, Geräusche, Klänge die mehr einem situativen Ausdruck entsprechen denn einer offensichtlichen Harmonie. Sie kratzen und quietschen, summen und intervallieren und sind in einer Harmonie mit den Tänzerinnen, die einzelne Klänge fortführen, den Klang durch Geste Nachdruck verleihen und so auf eindringliche Weise ergreifen. Ich kann mich nicht eines Gedankens verwehren: den der bizarren Schönheit die Bürde des Lebens mit Würde zu tragen. Die gestalteten Bilder gehen unter die Haut. Es ist da eine Anmut des Schmerzes, der Zerbrechlichkeit die von vier innerlich starken Frauen gezeigt wird. Man sieht die weibliche Fähigkeit mit mehreren Problemen, und zwar echten Schwierigkeiten, gleichzeitig umzugehen. Eingesäumt werden diese Frauen von einem Kosmos aus Kleidern Signe Vasshus´, die die weibliche Schönheit herauskehrt, die Last, die Abgrenzung, den Reiz und Pragmatismus. Es ist dunkel auf der Bühne und nur hin und wieder überrascht ein heller Ausschnitt. Doch die Frauen stehen meist nur am Rande des Lichts während sie, in manchmal irrsinniger Geschäftigkeit, aktiv voran schreiten. Ist es eine düstere Sicht? Jah, nein! Ist es reale Beschreibung was Frau sein bedeutet? Jah, nein! Es ist vielmehr als eine Schwarzweiß Betrachtung. Frailty ist die Gebrechlichkeit vielleicht als der Gegensatz zur männlichen Beständigkeit? Jah, nein! Mich hat diese Choreografie begeistert und hinterfragend mitgenommen. 


A list of things he said, wenn man die beiden überhaupt miteinander vergleichen sollte, ist ehr quadratisch, synchron und zeigt einige Seiten die man Männern immer gerne zuspricht. Die Tänzer hier sind Ludvig Daae, Erik Rulin, Matias Rønningen und Vebjørn Sundby. Dazu kommt ein virtuos in die Tasten greifender Simon Røttingen. Sind Männer wirklich so planvoll wie hier gezeigt? Schon möglich! Mit einigen humorvollen Momenten ist dieser Teil nicht ganz so tiefgründig wie Notes on Frailty, nichts desto trotz ebenso sehenswert. Und das es dem vollbesetztem kleinem Haus im Theater Bremen gefallen hat bestätigt der begeisterte Applaus.

Of Father an Sons

© by Theater Bremen
(Bremen) Zuerst war ich ein wenig verwirrt. Ist Pink Unicorns ein Stück für Kinder und Jugendliche, oder geht es hier um Homosexuallität und was hat das alles mit Tanz zu tun. Und dann, so Schritt für Schritt, wie ich mich so in die Geschichte hineinziehen ließ, entdeckte ich wieder einmal etwas neues im Theater. Es gibt eben so unendlich viele Wege etwas zu erzählen. Und es ist ungemein hilfreich wenn man sich aus den eingefahrenen Formen heraus bewegt und ganz eigene Mitteilungsformen entwickelt. Dabei ist es die Kunst nicht privat zu werden, sondern etwas zu vermitteln das viele angeht. In diesem Fall das Verhältnis von Vater zu Sohn. Auf der Bühne Alexis Fernandez mit seinem 14 jährigem Sohn Paulo. 

Zu Beginn laufen die beiden am vorderen Bühnenrand auf und ab. Der Einlass ist gewesen, das Spiel hat schon begonnen und die beiden laufen immer noch. Sie laufen nicht um die Wette, sie laufen zusammen. Es ist kein Kräftemessen, es ist auch nicht die Herausforderung des älteren an den Filius. Sie laufen gemeinsam, miteinander, und wenn wir auch nur einen Ausschnitt sehen, so schimmert doch später durch das die beiden durchs Leben laufen, nebeneinander und konkurrenzlos, wie in einer Partnerschaft die auf Augenhöhe funktioniert. Eine Utopie breitet sich aus vor den leicht verwirrten Augen, und wie ein Geheimnis wird so nach und nach der Schleier gelüftet über eine im allgemeinen schwer problembehaftete Beziehung. Die Probleme sind alle da, aber wie sie angegangen werden hat etwas zauberhaftes. Die Fragen die der Junge an seinen Vater stellt über die Welt in die er hineinwächst, und die er sich berechtigt von seinem Vater hineingeführt wünscht, sind nicht nur die Fragen des Sohnes. Der Vater steht mit gleichem Staunen, fragend und forschend da und fühlt die Verantwortung der Erklärung in sich. Hier wird ein Elternteil gezeigt das die Weisheit eben nicht mit Löffeln gefressen hat, der sich nicht zu schade ist sich neben seinen Spross zu stellen um mit ihm gemeinsam in die Welt zu schauen die für seinen Sohn noch so neu ist.


Wenn ich ins Theater Bremen komme, habe ich oft das Gefühl in eine multinationale Gemeinschaft von Künstlern zu kommen die eine hochinteressante wie auch interessierte Sicht auf diese uns allen umgebende Welt zu richten. Offen für neue Ideen und offen für Versuche wie wir als Gesellschaft aller Menschen besser miteinander umgehen können. Sprache ist da immer ein großes Thema. An einem Nachmittag zwischen Brauhaus und Noon höre ich mindestens acht verschiedene Muttersprachen die alle bestens miteinander kommunizieren. In Pink Unicorns wird spanisch gesprochen und die wichtigsten Passagen werden in englischer Sprache eingeblendet. Choreograf Samir Akika der aus Algerien stammt spricht französisch und natürlich die universelle Sprache der Bewegung des Tanzes. Eine Bildersprache die es ganz vergessen lässt nicht jedes Wort zu verstehen, denn man versteht eben doch am besten mit dem Herzen.

Montag, 1. April 2019

Wie kann man mit Würde abtreten?

Jonas Vietzke, Helga Lauenstein © Jonas Wömpner
(Hannover) Freund Hain, Gevatter Tod, die andere Seite oder wie Ludwig Hirsch sang: „Komm großer schwarzer Vogel, nimm’ mi fort von hier; am Ende des Lebens steht der Tod - die unausweichlichste Tatsache für jeden von uns. Können wir doch im Leben eigentlich jede Situation verhandeln, bestimmen, organisieren - nur beim Tod da sind wir machtlos. Vielleicht kommt daher die für manch einem beklemmende Angst vor dem letzten Gang. Doch wie man dem Tod begegnet oder gegenübersteht ist von Fall zu Fall verschieden. Das Theater in der Glocksee hat sich dem Thema angenommen mit der neuen Produktion „Freund Hain - Das Spiel des Lebens“ ein beeindruckendes Theater abgeliefert.

Der Raum ist festlich, wenn auch schlicht eingerichtet, in Schwarzweiß gehalten mit nur spärlichen Farbtupfern. Es ist der Moment einer Trauerfeier. Erinnern sie sich noch an die letzte Trauerfeier der sie beiwohnten? Der Gefühlsfächer ist bei diesen Gelegenheiten immer sehr weit aufgeschlagen. Von glatter Verzweiflung bis verschämter Schadenfreude kann man da alles erleben. Auf der theatralischen Trauerfeier an der Glocksee wird dem auf raffinierte Weise eine Bühne geboten, die mit viel Einfühlungsvermögen eine würdevolle, demütige, kurzweilige, kunstvolle Sicht  auf das Unausweichliche wirft. Aus den schier endlosen Möglichkeiten wie man über den Tod nachdenken kann, hat das Ensemble 25 Szenen herausgearbeitet. Und der Unberechenbarkeit des Todes folgend, haben sie mit einem Trauer-Bingo eine Form gefunden diesen Abend zu gestalten. Jeder Teilnehmer/Zuschauer bekommt einen Bingozettel auf dem er ein von 25 Feldern markieren kann. Auf der Bühne werden dann aus einer Lostrommel die einzelnen Felder gezogen. So entsteht an jedem Abend eine völlig eigene Theatershow, eine Revue die es in sich hat. Pro Vorstellung kann man bestenfalls die Hälfte der möglichen Szenen sehen. Es lohnt sich also ein weiterer Besuch. Die Bandbreite der einzelnen Szenen ist der Hammer: von Klamauk  über Wissenschaft, Literatur, und privates bis hin zu Religionen, Tanz, life Music, überraschend Nachdenkliches und vieles, vieles mehr, wird der Tod gründlich unter die Lupe genommen. Man könnte nun annehmen das dieses Thema mit einer gewissen Ambivalenz aufgenommen wird. Doch weit gefehlt: Das Licht im Saal ist immer so, dass sich keiner in seinem Sessel unbemerkt verkriechen kann, es aber auch gar nicht will. Ich habe selten in einem Theater so interessierte Gesichter gesehen wie an diesem Abend. Ein Publikum so involviert und im Herzen berührt zu erreichen ist dem Ensemble also hoher Verdienst anzurechnen. Vor allem schon deswegen weil der Abend zwar nach dem Zufall entstand und dennoch wie aus einem Guss zu erleben war. Also, wann haben sie sich das letzte Mal intensiv mit dem Tod beschäftigt und waren erleichtert, hatten ein Gefühl verstanden worden zu sein? Im Theater an der Glocksee ist das möglich am: 3., 5., 6., 13., 19., 24., 26. Und 27. April jeweils um 20:00.

Auf der Bühne sind zu erleben Uwe Dreysel, den sie auch fulminant am Klavier sehen können, Lena Kußmann, Helga Lauenstein und Jonas Vietzke, Regie führte Milena Fischer-Hartmann auf der Bühne von Birgit Klötzer und in den Kostümen von Hanna Peter sowie im Lichte von Kirsten Müntinga und Julia Schöneberger.