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Samstag, 30. März 2019

Alle macht dem Wähler

Füglistaller und Pleß
(Oldenburg) Das Theater Wrede+, in der Klävemannstr. 16, überrascht immer wieder mit einer innovativen Form Theater zu machen. Mit „People Power - A Live Theatre Escape Game“ ist dort eine, man möchte sagen zukünftige, Theatersprache entstanden: ein analoges Computerspiel. Ein Widerspruch? Ja, natürlich, Theater beschäftigt sich immer mit Widersprüchen, jedenfalls wenn es gut ist.

Stellt euch ein Computerspiel vor bei dem ihr ein Avatar einnehmt um als solches verschiedene Stationen im Spiel zu durchlaufen. Ihr bekommt Aufgaben gestellt die es zu lösen gilt um dafür Punkte, sagen wir Sozial-Kredit-Punkte so wie es 2020 in China Standard werden soll, zu erhalten. Vor einem Bildschirm würdet ihr sitzen, festgenagelt und klicktet euch durch einen Pacour um am Ende fest zu stellen einen Punktestand gesammelt zu haben der etwas darüber aussagt wie gut ihr euch geschlagen habt. Mit dem tatsächlich existierenden Spiel People Power haben die Aktivisten im Arabischen Frühling gewaltfreien Protest geleistet. Dort wurde also der spielerische Staatsumbruch geübt. Ein Gedanke daran wie Politik, bei aller Ernsthaftigkeit, auch Spass machen kann. Und ein Bild darüber wie in der heutigen Zeit politisches Engagement aussieht. Die 68er hatten ein klares Feindbild dem sie sich mit aller Kraft oder auch Gewalt entgegenstellten. Heute ist die Gesellschaft vielseitig und voller Variationen, man kann sie systemisch verstehen und eben auch so ehr gestalten als bekämpfen. Und gerade die systemische Betrachtung eröffnet die Identifikation eines jeden in der Gesellschaft. Wo und welchen Platz nimmt der Mensch in diesem riesigen Gefüge der Gesellschaft ein, und wie kann er darin mitwirken?

Winfried Wrede hatte die Idee zu diesem Spielkonzept in der eine Wahl mit einem Game gespielt wird. Man kann Sozialpunkte bekommen die je nach Entscheidungen der Spieler ins + oder - gehen können. In einer geschickten Symbiose von mehreren Stationen die so gestaltet sind, dass spielerisch Aufgaben gelöst werden und darüber hinaus Diskussionen entstehen, und der persönlichen Beteiligung des Publikums ist eine sowohl kurzweilige Unterhaltung, kritische Betrachtung über politische Strukturen und persönliches Engagement gelungen. Die Zuschauer, ein Begriff der hier nicht mehr weit genug greift, sind in Gruppen aufgeteilt und einem von fünf Avataren zugeteilt, in dessen Namen sie durch das Spiel gehen. Das Setting dieses Theaterabends ist mit allen erdenklichen Medien ausgestattet für die Karl-Heinz Stenz verantwortlich zeichnet. Per Video sprechen die autokratische Präsidentin und deren Gegnerin so wie auch die Avatare selbst. In Wahlkabinen liegen Tablets auf denen die Zuschauer verschiedene Aufgaben lösen, Auswertungen werden punktaktuell wie am Wahlabend von Infratest dimap auf einem Bildschirm angezeigt, Beteiligung via Smartphone von Personen die gar nicht im Theater sind und auch nichts von der Vorstellung wissen, und, und, und; kurz das Theater wird ins Leben geholt und das Leben spielt im Theater.

Bei aller Virtualität kommt das Schauspiel, das analoge nicht zu kurz. Z.B. zwei Charaktere fungieren als eine Art Spielleiter auf der Bühne: Die Staatsanwältin, gespielt von Elisabeth Pleß, und die Aktivistin von Danielle Ana Füglistaller. Pleß die, wie eine Nichte Datas vom Raumschiff Enterprise in menschlicher Hülle eine seelenlose Dienerin des Staats spielt, und die nach und nach in einem algothytmischen Datensalat sich zu so etwas wie einen Menschen verwandelt ist eine Freude anzusehen. Füglistaller erinnert an einen Don Quichot, die am Ende …, nun ich will nicht verraten wie es ausgeht, die jedenfalls mit unerschütterlicher Überzeugung und überzeugend für ihre Sache eintritt. Streckenweise ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass das Internet auch nur eine vorübergehende Erscheinung sein könnte, und dass eines Tages Mensch und Maschine koexistieren könnten, an statt sich vielfältiger wechselseitiger Dominanzen hinzugeben. Und dann ist da wieder der Zuschauer, ohne den es wirklich nicht geht. Seine Mitwirkung, seine spielerische Beteiligung hat unmittelbare Auswirkung auf den Spielverlauf, der Wahl und schließlich dem Endergebnis. Das besondere, dass ich hier hervorheben möchte ist die Tatsache nicht bespielt zu werden. Im Theater bin ich normalerweise derjenige der auf die Pointen reagiert, hier bin ich mittendrin; ich erschaffe die Situationen und reagiere darauf. Es ist eine Gemeinschaftsproduktion die sowohl angeleitet wird als auch aus sich selbst heraus entsteht. Das ist eine völlig neue Form der Kultur und des kulturellen Engagement. Ein kulturelles Looking outside the Box.

Einige Vorstellungen sind schon ausverkauft für andere gibt es noch Karten. Ich kann es nur empfehlen sich diese für´s Theater höchst innovative Inszenierung anzusehen, vor allem wenn man mit Kultur zu tun hat oder sich mehr für aktive politische Aktivität interessiert. Nächste Vorstellungen sind am 26. + 27. 04.2019.

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