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Montag, 14. Mai 2012

Finkels leidenschaftslose Inszenierung „Die Möwe“ von Anton Tschechow


(Bremerhaven) Vielleicht war das Motto der Inszenierung Elina Finkels von Tschechows „Die Möwe“ talking heads. Jedenfalls wahr die Abwesenheit von Schauspiel gestern im Großen Haus des Stadttheaters wie ein Bodendecker im Garten der erschlafften Künste ausgebreitet. Die Premiere wurde dennoch von dem bis zu einem gefühlten Drittel gefüllten Haus ordentlich applaudiert.
Wenn man Anton Tschechow neu übersetzt und die Eigenart der Tschechowschen Dramaturgie weglässt dann kommt wie hier Elina Finkel raus. Doch nicht nur die Übersetzung der Regisseurin nimmt viel von der menschlichen Tiefe „Der Möwe“, ihrer Inszenierung erteilt Elina Finkel das gleiche Schicksal. Warum werden außergewöhnlich gute Stücke von atemberaubenden Schriftstellern verhuntz, oder anders gefragt, warum schreiben sie nicht ein eigenes Stück, Frau Finkel?
Eine Thematik der Möwe sind die neuen Formen für das Theater. Nach Aussage von Frau Finkel sind schon alle Formen da gewesen, sie sind nur noch nicht von jedem Theater Schaffenden auf seine eigene Art ausgedrückt worden. Ignoranter und polemischer kann man sich im Theater kaum positionieren. In dieser überheblich abgeklärten Manier stehen die Schauspieler auf der Bühne und gießen Textkaskaden über die Rampe. Sebastian Zumpe erscheint zwar wie ein Al Di Meola der Sprache, doch Schnelligkeit ist keine Hexerei. Sprechende Köpfe ohne inhaltlichen Tiefgang, und das Spiel auf ein Minimum reduziert. Ein Buch zu lesen wäre wohl interessanter gewesen, denn im Geiste der eigenen Fantasie kann man die Handelnden immerhin nach eigenem Gusto bewegen. Einzig ein Charakter bekommt einen Hauch von Leben: Mascha. Meret Mundwiler gibt der unglücklich Verliebten Mascha immer wieder den nachzuempfindenden Hauch einer fühlenden Seele. Die anderen Charaktere treten mit keiner menschlichen Regung in Erscheinung. Da hilf es auch nichts ein bisschen „Talking Heads - Once in a Lifetime“ einzufügen um dem überraschend großen Anteil an jungem Publikum gefällig zu sein. Das ist besonders bedauerlich weil dass andere große Thema „Der Möwe“ die Beziehungen der Charaktere zu einander ist. Man erfährt so nichts über unglücklich Verliebte, Seelenschmerz und wie man damit umgeht, oder über eine dekadente will-alles-haben-Mentalität. Dabei wäre gerade der letzter Punkt eine notwendige Reflektion für unsere Gesellschaft. Man brauchte sich also nicht zu wundern wenn nach der Pause nicht alle Zuschauer in die als Trauerspiel verkleidete Komödie zurück kehrten.

Das Bühnenbild verdient anerkennende Worte. Jemand hat sich hier Gedanken gemacht wo die Möwe statt findet und was dort passiert. Beim Einlass ist die Bühne offen und das Licht der ersten Szene steht bereits, denn das Stück beginnt mit dem Theater im Theater und dieses findet in der freien Natur statt. Zuschauer und Akteure treffen sich also in der freien Natur. Hier wird ein künstlerisch gemeinsamer Raum geschaffen. Dann wird ein raumgreifendes Prospekt hochgezogen das sich übergangslos in andere Handlungshintergründe verwandelt, bis hin zu metaphorischen Darstellungen mit Hai passend zum Text auf der Bühne. Nach der Pause hebt sich dann ein eng überladenes Landhaus Interieure aus dem Boden. Jahre sind vergangen, und die Dekadenten Charaktere sind so ausgeprägt das sie nicht einmal mehr nach draußen gehen. Ihr Leben reduziert sich in Jammer und lästern vor Kamin und beim Lottospiel.
Es ist schon seit einigen Jahren im Theater zu beobachten das die künstlerisch schauspielerische Qualität reduziert wird. Man bekommt zunehmend szenisch gestellte Hörbücher zu sehen. Das ist besonders bedauerlich bei einem Stück wie „Die Möwe“ welche mit psychologischen Tiefen und deren enormen Handlungsvielfältigkeit aufwartet. Um so mehr ist es traurig anzuschauen, dass Schauspieler die mit sensiblen Fähigkeiten talentiert sind wie Mira Tscherne, Meret Mundwiler, und Sebastian Zumpe, gerade um diese Fähigkeiten reduziert werden. So wird der Zuschauer als Voyeur in seinem Sessel gedrückt und Meister des Dramas wie Anton Tschechow zur äquivalenten Telenovela-Unterhaltung abgestuft. In der weiteren Entwicklung dieses Trends wird man dann bald Pappkameraden über die Bühne schieben oder Hologramm Animationen projizieren. Dabei könnte Theater der Ort sein an dem sich lebendige Zuschauer mit im Augenblick gespielten Charakteren treffen und sich auf kulturell und künstlerisch anspruchsvollen Art mit den Themen der Menschen beschäftigen – unterhaltend, denn ja, es ist eine Komödie!
Die virtuellen Freundschaften können wir in den sozialen Netzwerken pflegen, ausbauen und wenn sie gewachsen sind in unser reales Leben integrieren. Fragwürdig dagegen ist es die Begegnungen von Mensch zu Mensch noch im Augenblick der Begegnung zu digitalisieren um sie dann im Internet fort zu führen oder gar vorm TV zu vergessen.
Weitere der insgesamt sechs Vorstellungen sind am 17. und 26. Mai, 01., 06. und 10. Juni 2012. Es ist nicht vorgesehen „Die Möwe“ in der kommenden Spielzeit wieder aufzunehmen.

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