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Mittwoch, 6. Februar 2013

Inszenierung aus dem Elfenbeinturm versickert in Konzept und Theorie


Ulrich Gadau, Mira Tscherne, Sebastian Zumpe, Martin Bringmann, Michael Stumper
(Bremerhaven) Tolle Band, engagierte Schauspieler, ungewöhnlicher Spielort, dünne Story, bunte Farben, schwache Regie und reserviertes Publikum. So knapp könnte man es abtun. In der Alten Mensa der Hochschule Bremerhaven spielte vor ausverkauftem Haus das Stadttheater Bremerhaven „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk.
Beginnen wir beim Publikum. Es ist immer wieder ein Rätsel wie die Norddeutschen reagieren. Während der Vorstellung gibt es bei einigen recht platten Witzen Gelächter. Wenn es zum Klatschen, Schunkeln, Chorsprechen animiert wird, macht es auch mit. Doch im Grunde ist es zurückhaltend, schaut nach einer Stunde auf die Uhr und grinst ehr müde als begeistert. Doch dann der Schlussapplaus: Nichtendenwollende Ovation, vereinzelte Zugabenrufe, aber es reicht nicht aus um jemanden von der Bank zu reißen. Es ist als wollten sie nun endlich die Beteiligung erleben die wie ein unausgesprochenes Versprechen im Raum hing, und auf der Bühne nicht eingelöst wurde. Das Publikum fordert seinen Tribut anstatt die Unterhaltung zu würdigen. Auch applaudieren will gelernt sein. Es ist eine qualifizierte „Gefällt mir“ Äusserung die es nur bei Life-Auftritten gibt. Ein kulturell vorbildlich erzogenes Publikum würde diesen einen Moment nutzen um ein Urteil zu fällen. Es könnte die Spreu vom Weizen unterscheiden und Buhrufe gezielt setzen, oder über eine ganze Reihe von Zwischenstufen in frenetischem Toben das Spiel mit der Bestnote auszeichnen. Doch in diesem Fall kann es nicht entscheiden, weil es das bekommt was man ihm berechtigt zumutet - banalen Trash.
Das Buch von Heinz Strunk „Fleisch ist mein Gemüse“ ist mit mäßigem Erfolg verkauft worden. Es zählt keinesfalls zur Literatur. Es kommt nicht annähernd an die Erfolge von Dora Held, Hera Lind, David Safier etc. heran. Die Geschichte hat einen Ausschlag von 1,3 auf der nach oben offenen Gefühls- und Werteskala. Die Gefühle eines früh bis spät Pubertierenden sind sicherlich wert besprochen zu werden. Das will niemand abstreiten. Aber sie einfach nur als Kulisse zur Selbstdarstellung heranzuziehen ist denkwürdig bis überflüssig. Schlimmer ist allerdings, dass der kulturell bestgefördertste Betrieb in der Stadt die schwache Story lediglich nachspielt. Wo ist der künstlerische Anspruch dieses Theaters? Wo war die Regie während der Inszenierung, Tim Egloff? Jedes Amateurtheater hat es begriffen, dass man nichts aus der Dritten Reihe sieht wenn auf gleicher Ebene gespielt wird. Wenn die gesungenen Texte mit Band-Begleitung etwas zum Stück beitragen, dann muss man technisch dafür sorgen das man irgend etwas davon versteht. Abgesehen von der Mutter (Sascha Maria Icks) und der Nachbarin Rosemarie (Kika Schmitz) sind die Charaktere ehr dürftig gezeichnet. Die Nebenrollen sind plakativ, ist okay, aber wie wenig scharf gezeichnet ist Heinz Strunk (Sebastian Zumpe) die Hauptfigur. Und das liegt nicht an Zumpe, das ist ein Resultat einer Nichtinszenierung. Statt dessen findet man einen ganzen Blumenstrauß Nebelkerzen: Ein Raum, wie für ein original Schützenfest dekoriert ist, nette bunte Lichterkette, Girlanden, Bierbänke (anderthalb Stunden Rückenqual) gut einstudierte Szenenwechsel, darauf geachtet, dass die Schauspieler auch immer schön brav in alle Richtungen sprechen, die Band setzt immer dann ein wenn die Spannung abfallen könnte. Das ist keine Regie, sondern spieltechnische Koordination.
Es ist auch Mal ein Gedanke an den, oder die Spielorte, geboten. Wenn ich es richtig verstehe, dann geht das Theater in den öffentlichen Raum um Theater vom verstaubtem Image zu befreien und es dem jüngeren Publikum schmackhaft zu machen. Der alte Trick wie in „Chinatown“ (kommt das Wasser nicht nach L.A., dann kommt L.A. zum Wasser; kommt das Publikum nicht ins…). Doch welche Qualität wird da ausquartiert? Etwa diese Pro-7-Niveau-Unterhaltung? Oder denken wir einmal zurück an die vernichtenden Kommentare im Gästebuch vom Pferdestall zum „Momo“. Auch Eldorado im ehm. Naber Hotel hat eine starke Ablehnung hervorgerufen neben den Lobgesängen einiger Zuschauer/Teilnehmer. Diese Schritte nach aussen wirken verkrampft, nachgemacht, leidenschaftslos, improvisiert; anstatt professionell und von hohem künstlerischem Wert.
Und dann ist da dieses Schauspiel Ensemble. Da ist Potential vorhanden, das noch lange nicht ausgereizt ist. Sebastian Zumpe spielt Saxophon, Andreas Heinrich Kerbs Posaune, das erleichtert die Besetzung enorm. Zumpe zeigte welche Ausdrucksmöglichkeiten er neben Schreien (Verbrennungen) noch so drauf hat, alle Achtung! Sascha Maria Icks kann mit ihrer Gesangstimme etwas erzählen, sie erreicht die Menschen im Herzen. Kika Schmitz als übergewichtige Nachbarin zeigte eine schauspielerische Höchstleistung. Auch die anderen sind motiviert und mit vollem Einsatz dabei. Und doch scheinen sie alle zu schwimmen, irgend wie in der Luft zu hängen, weil niemand sie zusammen geführt hat. Sie füllen die Konzepte eines anderen aus, und das gekonnt und mit Herzblut. Aber es sind eben nur Konzepte, Theorien, herunter gewunken aus dem Elfenbeinturm, und noch dazu oberflächlich und zusammengebastelt. Gerettet wird der Abend von der Band: Jan-Hendrik Ehler (Keyboards), Michael Stumper (Gitarre, Gesang), Ulrich Gadau (Bass, Gesang) und Joachim Remus (Schlagzeug). Die Musik macht Stimmung - keine Haken keine Oesen, gute Auswahl, animierend, Kniewippen, klatschbegeisternd. Einfach toll.
Mein Urteil lautet nicht vernichtend, es ist ein Ausdruck der Enttäuschung wie wenig künstlerischer Anspruch mit dem vorhandenem Potential umgesetzt wird. Wer nichts besonders oder neues erwartet und schon Mal 90 Minuten auf einer Bierbank sitzen möchte, kann es sich gerne anschauen. Eine weitere Egloff Inszenierung brauche ich erstmal nicht, soviel steht mal fest. Nächste Vorstellungen sind am 10., 19., 22., 27. sowie noch weitere im März 2013.

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