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Mittwoch, 16. Oktober 2019

Hannah Arendt - Freiheit - Punk!



Kassandra Speltri © Jonas Wömpner
(Hannover) Hannah Arendt wurde in Hannover Linden geboren und ist laut Wikipedia politische Theoretikerin. Die Punk Band Pisscharge sind auch aus Hannover (mit Migrationshintergrund) heute dort aktiv und alles andere als Theoretiker. Sie sind nicht bei Wikipedia zu finden. Krasse Positionen die hier mit einer Frage zusammenkommen: Wie geht Freiheit? Es wird im Theater an der Glocksee ein wohlrecherchiertes Ideenfeuerwerk abgebrannt, dass wieder einmal zeigt wie lebendig freies Theater ist.

Eine der großen Herausforderungen am Theater ist der lineare Verlauf von Zeit. Wird etwas in diesem Schema erzählt ist Langeweile garantiert. Stellt man aber Fragen, so wie Lena Kußmann das tut, dann kommt eine mitreissende Dynamik ins Spiel. So wird hier Hannah Arendt in drei Stationen ihrer Lebens dargestellt (von Andrea Casabianchi, Ronja Donath, Laura Jakschas) und kann so mit sich selbst in Austausch treten. Interessanter Ansatz: denn was bleibt über von einer historischen Person in der Erinnerung des einzelnen? Eine Momentaufnahme? Momente ihres Wirkens? Oder sind es die Themen, Fragen, Provokationen etc., die eben jene Person aufgeworfen hat? Nun wird plötzlich nicht mehr die Person Hannah Arendt im Mittelpunkt stehen sondern das was sie tat, dachte, vermittelte etc. Eben die Sache. Und die ist bei diesem Theaterprojekt die Frage nach der Freiheit. Hand aufs Herz: Was Freiheit ist, ist das nicht eine der schwierigsten Fragen überhaupt? Und in einer Zeit in der so viele konkrete Fragen zur Disposition stehen wie: Klimawandel, Datenschutz, Migration, Rechtsruck, Waffenhandel, Autokraten etc.; ist es da nicht erfrischend einmal die Fragen auf das Elementare zu richten warum wir alle hier sind? Die großen Fragen des Hierseins auch eine wesentlich Aufgabe von Theater überhaupt! Wir könnten auf Grund von Evolution und technischer Entwicklung weltweit so frei sein wie noch nie, aber sind wir nicht alle auf die eine oder Art Sklaven von: Sicherheitsdenken, Besitzverteidigung, Meinungen, Regeln über Regeln gestützt in einem Korsett der Rechtsstaatlichkeit?

Casabianci, Donath, Jakschas, Speltri © Jonas Wöpner
Hannah Arendt gegenüber stehen die Punks. (Kassandra Speltri, Nico Tiekötter, Cristobal Camiruaga, Joao Guilherme) Sie schreien die gefühlte Unzufriedenheit laut raus. Sie verkörpern das Prinzip des „anders seins“ so laut und konsequent wie niemand sonst. Sie leben einen Stil der nicht in langen wohlgefeilten Diskussionsbeiträgen vorgetragen wird. Ihre Kunst ist ökonomisch auf höchstem Niveau. Sie hauen dir die Fakten um die Ohren, unverblümt und mit klarer Emotion. Sie stellen sich ihrer Situation, der Enge, der Beschränkung, der Restriktionen in dem sie einfach nicht Kompromiss bereit lavieren. Kein Punk benutzt so um tausend Ecken gedrechselte Sätze wie die Arendt, deren Sätze man zehn Mal lesen und überdenken muss um eine Ahnung zu bekommen wovon sie da spricht. Aber, das ist keine Frage der Intelligenz, sondern eine Frage was man zu erreichen gedeckt und was man bereit ist dafür zu tun.


Nach der Groteske im Frühjahr (dem Milchstraßenknurren) ist dies eine weitere mutige und Rahmen sprengende Arbeit die das Ensemble an der Glocksee vorstellt. Eine Punk Band auf der Bühne (Hörschutz wurde bereitgestellt) kreatives Chaos das nie aus dem Ruder läuft in einem Paletten-Bauzaun-Autoreifen Gerümpelhaufen der einer 60er Jahre TV-Bühne gegenübersteht (Britta Bremer), eine vielschichtige Erzählweise die an Filme wie „Dritte Person“ von Paul Haggis oder „I´m not there“ von Todd Haynes erinnert und ein multimedialer Aufwand (Jonas Vietzke, Kirsten Müntinga) der nie Selbstzweck ist. Mit Hannah und der Punk oder wie geht Freiheit ist dem Theater an der Glocksee wieder ein theatrales Feuerwerk gelungen. Kein Wunder das die beiden Vorstellungen 16.10. und 18.10. schon ausverkauft sind. Weitere Vorstellungen sind am 25., 26., 30 Oktober und 1., 2., 6., November. Tickets unter www.theater-an-der-glocksee.de

Freitag, 4. Oktober 2019

Premiere im Theater an der Glocksee

© by Chris Wolff
(Hannover) Am 11. Oktober 2019 um 20:00 ist es wieder so weit. Dann steht die nächste Premiere auf dem Spielplan am Theater an der Glocksee in Hannover. Unter der Leitung von Lena Kußmann ist ein krachendes Stück Theater entstanden zu dem ich hier kurz die Pressemeldung zeigen möchte: 


Hannah und der Punk oder wie geht Freiheit?

Dieser Abend fordert Hirn und Herz, Trommelfell und Neuronen: Die brillanten Texte der politischen Theoretikerin Hannah Arendt zum Thema Freiheit und politische Teilhabe treffen auf die brachiale Emotionalität einer politischen Punkband. Hannah is back – in Form von drei virtuosen Performerinnen, welche die sinnlich denkende Hannah Arendt verkörpern und Auszüge aus ihren Werken zum Thema Freiheit in Sprache und Szene komponieren. Sie treffen auf die Hardcore Punkband »Pisscharge«, die sich mit ihrer Frontsängerin Kassandra ähnliche Themen unserer heutigen Welt vorknöpfen. Und Hannah? Will verstehen... Eine neue, gemeinsame und vielsprachige Suche beginnt: Nach dem Wesen der Freiheit, nach Mut, nach Verantwortung, Ohrenschützern, Körpereinsatz, Visionen - und nach dem Herz zwischen Bauch und Kopf.

»To me, punk rock is the freedom to create, freedom to be successful, freedom to not be successful, freedom to be who you are. It's freedom« - Patti Smith

»Es ist schwer zu entscheiden wo der Wunsch nach Befreiung - also frei sein von Unterdrückung, endet und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen, beginnt.« - Hannah Arendt


Karten gibt es unter 0511-161 3936 oder www.theater-an-der-glocksee.de

Horst Janssen - Spötterer, Kopierer und Angeber

Frau mit dem 'effchen 1975 Horst Janssen
(Emden) Er war selbstverständlich auch Künstler. Ein großer Teil seines ca. 30.000 Arbeiten umfassendem Werkes wird in der Kunsthalle Emden als Kosmos Janssen und die bildende Kunst derzeit ausgestellt. Und weil eben bei einem so umtriebigen Künstler nicht alles gezeigt werden kann, treffen die in der Headline genannten Eigenschaften ziemlich gut den Ausschnitt dieser Schau die noch bis zum 26. Jan. 2020 zusehen sein wird. Es handelt sich hierbei um eine Doppelausstellung in Kooperation mit dem Horst-Janssen-Haus in Oldenburg. Dort dauert die Ausstellung vom 15. November 2019 bis zum 15. März 2020. In Emden liegt der Schwerpunkt auf die bildende Kunst, in Oldenburg auf den Wörterer unter dem Titel Kosmos Janssen- wie er schreibt.

Die Kuratorin Eugenia Kriwoscheja, die als wissenschaftliche Volontärin an der Kunsthalle Emden wirkt, hat in einer erfrischenden Weise eine sehr interessante Ausstellung zusammengestellt. Sie hat die Räume mit einzelnen Themen bestückt und so arrangiert dass man genüsslich in die geheimnisvolle Welt eintauchen kann. Im persönlichen Dialog mit Henri Nannen entstand 1988 eine erste Janssen-Ausstellung in Emden. Im ersten Raum nimmt die Ausstellung Bezug auf einem Brief Janssens an „Mynher Henri Nannen“, den Janssen als eine Hommage an den 1630 in Emden geborenen Seemaler Rudolph Backhuizen. In den weiteren Räumen werden vergleichende Exponate gezeigt die den Kopierer Janssen erschließen. Kopieren ist ja bekanntlich eine weithin gebräuchliche Technik um sich mit den Arbeiten anderer Künstler vertraut zu machen. Hierbei lernt man z.B. Pinselführung, Kompositionen und vieles mehr. Horst Janssen hat verschiedene Themen über viele Jahre immer wieder bearbeitet. So z.B. Katzen. In einem Raum kann man nun die Entwicklung verfolgen wie er sich immer wieder und wandelnd mit diesem Sujet beschäftigt hat. Kopieren bedeutete für Janssen aber auch auf eigene kreative Weise die Vorlagen weiter zu entwickeln, umzugestalten, die Essenz herauszuholen oder Gegenvorschläge zu finden. Hier tritt man spätestens in den Kosmos Janssen ein. Welten eröffnen sich, Denkschemata schimmern durch und das komplexe Wesen des Künstlers mit all seinen Widersprüchen dringt an die Oberfläche der mitunter skurrilen Arbeiten. Und dann der Spötterer, der „Angeber X“ der er war, ist viel Raum gewidmet. Was dachte er über andere Kollegen, und wie schamlos und provokant brachte er das zum Ausdruck?! Er bearbeitet die Arbeiten anderer Künstler mit Kommentaren die er direkt ins Bild schrieb, „korrigiert“ mit Pfeilen und Änderungen um die Arbeiten zu beurteilen, zu verbessern und zu kritisieren. 


Mein Tipp - bringen Sie viel Zeit mit, denn es gibt sehr viel zu entdecken. Die Ausstellung wirkt vor allem wenn man bereit ist in den Kosmos Janssen einzutauchen. Eine Hilfe für diesen Tauchgang ist der Katalog in dem Janssen als Wörterer und als Bildender ausführlich beschreiben ist.