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Montag, 16. Januar 2012

Vanaevs Giselle mit magerem Ausdruck

(Bremerhaven) Mit dem Ballett Giselle zu der Musik von Adolphe Adam hat der Ballettmeister im Stadttheater Bremerhaven, Sergei Vanaev, eine nur mittelmässige Arbeit geliefert. Seine Darbietung ist besonders bedauerlich weil sehr viele junge Besucher den Weg ins Theater gefunden haben.
Trotz anhaltendem Applaus gab es viele Stimmen die sich enttäuscht äusserten.
Zum Inhalt: Giselle wird mehrfach vom Grafen vergewaltigt. Sie klagt ihn an. Doch als sie merkt, dass selbst die Gräfin, Zeugin der zweiten Vergewaltigung, nicht unterstützend eingreift, tötet Giselle den Grafen. Im zweiten Akt sitzt Giselle im Kerker. In halluzinatorischen Reflektionen spielt sie die einzelnen Erlebnisse noch einmal durch um dann im inneren Frieden mit sich zu sterben. Bathilda, die Gräfin, nimmt sich nach der Hinrichtung vor Scham und Reue des Kindes an. 
Im Jahr 2011/12 ist Vergewaltigung kein herrschaftliches Kavaliersdelikt sondern ernst zu nehmen und mit Respekt vor der Weiblichkeit zu behandeln.
Tanz ist eine Bewegungsästhetik die ein hohes Mass körperlicher Fähigkeiten voraussetzt oder bestenfalls wie eleganter Sport aussieht. Im Programmheft wird angekündigt die Partie der Giselle sei ein Meilenstein im Repertoire jeder Ballerina. Vanessa Erdmann verschweigt besser in ihrer Vita diese Inszenierung. Gefordert war eine tänzerische Virtuosität, technische Leichtigkeit sowie darstellerische Expressivität und Wandelbarkeit. Das sind große Worte. Ein verantwortungsvoller Ballettmeister hätte sicher dafür gesorgt, dass sie nicht bei dieser Besetzung angeschlagen werden. Es ist auch eine Respektlosigkeit vor der Jugend eines der anspruchsvollsten Ballettstücke mit so mittelmässigem Ergebnis aufzuführen.
Auch wenn die Komposition von Adophe Adam nicht gerade der große Wurf ist, muss die Musik in der Bewegungsästhetik zu sehen sein. Bilder aus Körper in Bewegung sprechen nicht über den rationalen Weg durch den Gehörgang, sondern in emotionaler Direktheit. Jedoch gerade diese Direktheit blieb aus. Zwei Umstände trugen erschwerend hinzu: Kostüme und Choreographie. Die Röcke flatterten wie Fahnen die sich am Mast verhangen hatten. Was an körperlicher Expressivität entstand wurde von den Stoffen verhüllt, oder (wie peinlich) entblößte die Tänzerinnen in unnötig beschämender Weise. Die Choreographie ist schwammig, indifferent und überladen. Oder um mit den Worten einiger Besucher zu sprechen „Viel Füllmaterial“. Natürlich muss eine anspruchsvolle Titelpartie auch anspruchsvoll in Szene gesetzt werden. Die erste Vergewaltigung, ehr beiläufig unter dem Wagen und nur durch die Farbveränderung in blutrot auf dem Bühnenprospekt zu erkennen, war lächerlich. Die Zweite wurde durch eine Mischung aus Kampf und Liebesspiel eingeleitet bei der man nicht recht wusste: rennt sie weg oder lockt sie ihn ins Bett. Beschämend! Wer sich mit diesen Thema beschäftigt sollte auch den Mut aufbringen und die visuellen Ideen entwickeln können die einen würdevollen Umgang gestatten, gleich unabhängig davon wie kritisch das Publikum sei.
Das Bühnenbild, auch hier hat Sergei Vanaev mitgewirkt, erinnert im ersten Akt an ein Märchen in dem ein Insektenthema behandelt wird. Peter Pan würde sich dort vielleicht wohl fühlen. Das Stadttheater verfügt über sehr gute Beleuchtungsmöglichkeiten. Dieser Lichtsumpf wäre zu verhindern gewesen. Im zweiten Akt ist das Bild schon viel besser strukturiert. Der Kerker ist mit seitlicher Ausleuchtung hinter den Zellenstäben ausdrucksstark und bietet Giselle einen fließenden Wechsel zwischen Realität und mythischer Läuterung. 
Nicht alles war schlecht. Wenn es um darstellerische Ausdrucksstärke ging dann muss Leticia Forattini Martins genannt werden. In der Figur der Myrtha kommen Leichtigkeit und kongruente Verbindung zur Musik zum Vorschein. Ebenfalls beeindruckend Elisabeth Towles als Bathilda. Bei diesen beiden stimmte auch das Kostüm und komplementierte den Tanz so wie die Rolle. 
Zu bemerken ist noch die Begeisterung für´s Ballett vor allem im jüngeren Publikum. Der Altersdurchnitt in dem fast ausverkauftem Haus war um gefühlte 20 Jahre gesenkt.
Trotz dieser harschen Kritik, die von mehreren Besuchern in ähnlicher Weise geteilt wurde, möchte ich nicht unerwähnt lassen wie einige wenige im Publikum mit soviel Enthusiasmus applaudierten, dass es sie von den Sitzen hochriss. Doch Geschmack ist nicht das ultimative Mass der Qualität. Wenn ein Ballettmeister ohne Konkurrenz am Ort ist, kommt auf ihm eine große Verantwortung für ehrliche Leistung und qualitativ anspruchsvolle Choreographien.

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diese Rezension! Ich bin auch öfter mal im Theater Bremerhaven - meist eher anlässlich einer Oper, aber ab und an auch mal für Tanz oder Theater. Diese Produktion scheint sich da wohl eher nicht zu lohnen....

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  2. Danke für den Kommentar, Sarah-Maria. Ich hoffe das es noch andere, sehenswertere Inszenierungen geben wird im Stadttheater Bremerhaven.

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