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Donnerstag, 15. Dezember 2011

Mira Tscherne - Warum das Kind in der Polenta kocht


(Bremerhaven) Das Stadttheater Bremerhaven bringt der Jugend ein Theatererlebnis auf beeindruckende Weise nah. Gestern spielte Mira Tscherne in ihrer eigene Inszenierung „Warum das Kind in der Polenta kocht“ nach dem Roman von Aglaja Veteranyi im Pferdestall in der Gartenstraße. Die Schauspielerin hat den Roman für ihr Schauspieldiplom in Graz (Österreich) in eine reduzierte Form gebracht. Ein Drittel der Gäste entsprachen dem Erwartungsalter des JUP!, - „Junges Theater im Pferdestall“, eine Art Nebenstelle des Stadttheaters auf Zeit.
Schauspieler die frisch im Beruf sind werden gerne für das Weihnachtsmärchen oder für Jugendstücke und Kindertheater eingesetzt. Das mag daran liegen das der Altersunterschied nicht so groß ist zwischen Akteur und Zuschauer. Es ist aber auch die eingeebnete Fallhöhe die sich aus begrenzter Erfahrung und hohem künstlerischem Anspruch ergibt. Letzteres ist für Bremerhaven nicht so ausschlaggebend. Das Mass an Erfahrung um so mehr wenn es sich dabei wie bei Mira Tscherne um ein herausragendes Schauspiel Talent handelt. Sie hat vor anderthalb Jahren ihre Prüfung abgelegt, sie ist also noch auf dem Weg in den Beruf. Und soviel kann man jetzt schon sagen, sie hat noch enorme Resourcen zu entwickeln und anzubieten. Es sind gewisse Qualitäten die eine Schauspielerin auf natürliche Weise mitbringt mit denen sie sich aus der gewöhnlichen Menge abhebt. Eine davon ist die Fähigkeit sensibel auf der Bühne zu zeigen wie zerbrechlich wir Menschen sind ohne dabei selbst zu zerbrechen. Eine andere ist es Fiktion so real darzustellen das man eine Puppe nicht von einem Säugling unterscheiden kann, ausser man kneift sich und erinnert sich daran im Theater zu sitzen. Und eine weitere ist der Mut aufrichtig und natürlich auf der Bühne zu sein, und dabei das Spiel und die Dramaturgie nicht aus dem Blick zu verlieren. Diese, und weitere Fähigkeiten die ihr überragendes Talent ausmachen, hat Mira Tscherne gestern im Pferdestall gezeigt. Talent ist der Spiegel der Möglichkeiten die in einer Person stecken. Die Vorstellung war beeindruckend, berührend, fesselnd und sie hat damit gezeigt, das noch sehr viel mehr in ihr steckt. Man kann nur hoffen, dass sie nicht im Staatstheater-Regie-Einheitsbrei untergeht. Man muss hoffen und wünschen das sie einen Regisseur trifft der sie fordert und dem sie vertrauen kann. Dann sehen wir bald schon eine neue Wokalek-Jentsch-Gedeck Tscherne.
Theater lebt davon wie sehr das Publikum mit eifert, mit fiebert, sich emotional gibt und mit reißen lässt. Es ist für keinen noch so selbstsicheren Schauspieler ein leichtes vor der typischen norddeutsch stoisch gefrorenen Gesichterfassade zu spielen. Um so mehr ist da z.B. das transparente Spiel mit poetischer Klarheit zu werten, mit dem Tscherne die Puppe entkleidet wenn sie über ihre Mutter spricht. Und ebenso hervorragend ist es, wie sie die Verbindung zum Publikum hält, in dem sie direkt in deren Herzen spricht. Das Publikum aber lässt nur spärlich und aus überspannter Zurückhaltung hin und wieder eine Gefühlsregung aufblitzen, welche sofort in der stillen Tiefe der Ränge vom Dunkel absorbiert wird. Sie muss ein seelischer Torrero sein, eine Walküre der Emotionen und die Brandung die sich um den Fels herum ergießt. Es muss an dieser Stelle die Frage gestattet sein, gerade weil es sich um das JUP! „Junges Theater im Pferdestall“ handelt wo die Bildung ansetzen muss. Ist es nicht so, dass die Rezipienten mit der Kommunikation des Schauspielens vertraut gemacht werden müssen, damit sie die Darbietung auf der Bühne verfolgen können? Wenn ein Publikum eine Vorstellung als „schön“ oder „Mal was anderes“ bezeichnet möchte sich jeder Schauspieler die Kugel geben. Soviel zu den Potentialen.
In der Geschichte wird die Sicht eines Mädchens, die mit ihren Eltern in den Westen flüchtet, gezeigt. Und da fällt es auf wie eine vertrauensvolle Regie geholfen hätte. Mancher Witz versickert in unpräziser Gestaltung. Manchmal kann man nur aus dem gesprochenen Wort heraus erkennen welche Person dargestellt wird. Und die Spielrhythmik und Dynamik wäre auch besser von außen beurteilt,  wenn man selbst noch nicht die fundierte Erfahrung gesammelt hat. Theater ist immer eine Gemeinschaftsarbeit. Und dieser aufbauende Wert einer in Gemeinschaft entstehenden Aussage fehlt der Inszenierung. Es fehlt oftmals der Biss, es fehlt die Basis dafür eine kollektive Gefühlsäusserung entstehen zu lassen. Aber es fehlt eben nicht an der Fähigkeit, sondern an der Erfahrung diese Feinheiten allein meistern zu können.
Fotos und Filmsequenzen in Theaterstücken mit einzubeziehen gehört mit zu den ganz großen Herausforderungen. Film und Theater sind so unterschiedlich in ihren Kommunikationsformen wie Feuer und Wasser. Die präzise Auswahl und Gestaltung der Bilder in einem Film verschlingen ein Vielfaches von der Zeit die letztendlich am Set gedreht wird. Man kann davon ausgehen, dass alles in  einem Bild gestaltet ist, dass nichts zufällig mit aufgenommen wird, und dass ein ganz bestimmtes ausgeklügeltes Tempo gewählt wurde um diese Bilder einzufangen und in Folge zu setzen. Ganz zu schweigen davon was im Schnittraum dann noch kreiert wird. Auf der Bühne ist nichts reproduzierbar, und man kann den Bildausschnitt nur schwierig wählen. Die Life Darbietung ist ausserdem von unzähligen Überraschungen begleitet die jede Vorstellung zu einem neuen Erlebnis macht. Um diese unterschiedlichen Formen zusammen zu bringen muss man beide Sprachen, die des Films und des Theaters verinnerlicht haben. Dies ist Mira Tscherne nur zu Beginn geglückt. Während der Einlasszeit wird eine Videosequenz in einer Endlosschleife gezeigt. Darin sehen wir ein Mädchen das allein spielerisch in einer Fussgängerzone zwischen vielen vorbei schlendernden Erwachsenenbeinen Tanzschritte nachvollzieht. Man sieht nicht den Kopf des Mädchens. Nur an den Fuss- und Beinbewegungen erkennt man die naive Hingabe an die einzelnen Schritte. Das Mädchen ist so sehr in ihrem Tanz versunken, dass es die Menschen um sich herum gar nicht wahr zu nehmen scheint. Und dann stellt sie plötzlich fest als sie fast mit einem Erwachsenen zusammen trifft, dass noch andere um sie herum sind, erschrickt und läuft um sich blickend aus dem Bild. Die Sequenz ist von Tscherne aufgezeichnet worden, also kein Archivmaterial. Und sie ist eine treffende Metapher für das ganze Stück. Die im späteren Verlauf eingespielten Bilder sind weniger beeindruckend bis störend.
Lassen sie es sich nicht entgehen die allmähliche Entstehung einer großen Theaterkarriere mitzuerleben. Sie spielt sich direkt vor unseren Augen ab, so wie damals mit Thalheimer und Herbst in den 80ern.
In diesem Jahr wird „Warum das Kind in der Polenta kocht“ von und mit Mira Tscherne nur noch zwei Mal geben: Am Samstag und am Montag jeweils um 19:30. Das Stück ist für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene ab 15 bis 150 Jahre. Und wenn die Nachfrage groß genug ist dann könnte es auch im kommenden Jahr wieder auf den Spielplan kommen. 

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