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Sonntag, 11. Dezember 2011

Fundament von Jan Neumann - Kopfkino für Geduldige

(Bremerhaven) Gestern Abend war Premiere im Stadttheater Bremerhaven. „Fundament“ lautet der Titel und ist eine Stückentwicklung von Jan Neumann in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Staatstheater 2009. Erik Altorfer inszenierte es zu Sprechcollagen in einer farbenfrohen Welt von Eva Humburg. Fünf verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Lebensweisen treffen sich zufällig am Bahnhof einer Stadt und erleben/erleiden einen Terroranschlag. Ja und?
Das ist doch tragisch! So könnte man ausrufen. Damit muss man heute ständig rechnen, antworten andere darauf. Und über diese – zur Gewohnheit verkommenen – Situation kommt der Autor auch nicht hinaus. Er benutzt die wie-auch-immer-reale Terrorgefahr um einer anderen weniger dringlichen Thematik zu folgen. Es fehlt dem Stück, und damit auch dem Autor, an Demut vor dem wirklichen Leben zu Gunsten eines pauschalisierten Lebens. Und es fehlt dem Stück eine klare Absicht die es zu belegen gilt oder an der man scheitern kann. Da nützt es auch nichts wenn er Feldforschung betreibt und mit einem Ensemble improvisatorisch die Charaktere entwickelt, oder im Team philosophiert. Das erschütternde starke Bild, der Terrorakt, wird von ihm banalisiert um über die Glaubensweisen der einzelnen Personen zu reden. Aber die einzelnen Personen, ein Religionssuchender, ein Student, eine Managerin, eine zweifelnde Ehefrau und Mutter so wie ein Top-Werbegraphiker, bleiben nur an der Klischee behafteten Oberfläche. Das essentielle Ringen nach einer Glaubensidentifikation kommt nicht ernsthaft zur Sprache. Die Personen sind immer nur Abziehbilder die wir so oder ähnlich zig Mal kolportiert kennen. Darin besteht die große Schwäche des Textes.
Jan Neumann hat aber eine andere Qualität die mich paradox erstaunen lässt. Er schreibt das Stück mit einer bezaubernden Poesie. Seine Bilder ziehen sich lang und dynamisch in großen eingängigen Bögen durch das Stück. Ein Beispiel: Eine Taube setzt an zu einem letzten Flug. Dabei streift sie auf ihrem Weg den gesamten Spielort und die Hauptcharaktere. Sie verbindet eine komplexe Handlung homogen mit einem imaginären Ort. Ein anderes Beispiel: In der Kunstthearapiesitzung mit Bettina Lauterbach, der zweifelnden Ehefrau und Mutter, ist der Text wie ein vielsprachiger Gesang komponiert. Man wird durch die Szene hindurchgezogen wie auf einer pseudoschönen Melodie, kann sich der aufgesetzten und heuchlerischen Mitgefühlsduselei nicht entziehen. Gleichzeitig überspitzt Neumann gerade soviel, dass man den beißenden Sarkasmus nicht übersehen kann. Seine Sprache ist einfach gehalten, kommt scharf auf den Punkt und ist von einer natürlichen Rhythmik die den Leser in einem Atemzug durch das Stück saugt. Und das ist der Punkt: Dem „Leser“ ergeht es so.
Die Inszenierung dagegen ist ehr überladen und holprig. Was in der Sprache punktgenau und kristallklar geschrieben steht, wird auf der Bühne durch kryptische Symbolik verwässert. Vielleicht hätte man dem Schauspiel-Ensemble sprachlich mehr zutrauen sollen. Die können das. Doch auf der Bühne steht so ein Gefühl von geistiger Klaustrophobie. Was ist das? Hörspielkino mit Umbaupausen? Es ist so voll mit irgend welchen symbolischen Ideen die nur wenige Psychologie Professoren entschlüsseln können. Die Umbauten dauern lange und scheinen nur etwas Bewegung zu schaffen. Die Umbaumusik ist nicht kongruent mit einer dramaturgischen Entwicklung, also nur Schmuckwerk? Das Bühnenbild, mit allen Grundfarben übergossen, ist so unspezifisch, man hätte es auch in Schwarz oder Weis machen können. Hier fehlt der Biss. Gerade wegen der Tatsache weil dem Stück die Absicht fehlt.
Verstehen sie mich bitte nicht falsch, ich empfehle das „Fundament“. Gehen sie hinein und nehmen sie aktiv daran Teil wie sich Theater in der heutigen Welt entwickeln soll. Diese Inszenierung und das Stück selbst bietet eine gelungene Chance für einen offenen Kontakt mit einer heranwachsenden Theater Gesellschaft. Hier ist die Gelegenheit für ein junges Publikum um sich mit den Ausdrucksformen des Theaters zu beschäftigen die noch nicht in Stein gemeißelt sind. Deutschlehrer sollten diesen Text mit ihren Schülern durcharbeiten und dann die Inszenierung anschauen und das Gespräch mit den Künstlern suchen. Man muss vor dem Stück nicht ehrfurchtsvoll erstarren wie ein Faust es fordern kann. Es ist eine kommunikative Spielerei, es ist eine Arbeit im Prozess, es ist Forschung nach einer neuen Sprache im Theater, es ist die Suche nach einer Gesellschaftsverständigung, es ist das Angebot einer Reflektion über aktuelle Vorfälle in der Welt. Seit über zehn Jahren ringt man mit diesen Themen im Theater. Warum nicht auch in Bremerhaven?
„Fundament“ wird noch am 17. und 21. Dez. 2011 sowie am 13. und 20. Jan. 2012 gespielt. Weitere Termine sind noch nicht angekündigt.

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