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Samstag, 3. Dezember 2011

KunstRaum Geestemünde bangt um Zukunft

(Bremerhaven) Gestern wurde die vorerst letzte Ausstellung im KunstRaum Geestemünde eröffnet. Zur Begrüßung sprach Stadtrat Dr. Rainer Paulenz einige Worte. Er nutzte die Gelegenheit den KunstRaum einmal persönlich in Augenschein zu nehmen und stellte fest, dass sich viele Bürger für diese Einrichtung interessierten, Gesichter die er auch in der Kunsthalle Bremerhaven schon gesehen habe. Über die Zukunft des KunstRaums Geestemünde konnte er keine verbindliche Aussage treffen, stellte aber in den Raum es gäbe Bestrebungen den KunstRaum auch weiterhin zu ermöglichen.

Die anschließend einführende Rede von Friedo Stucke, dem Verleger und Herausgeber dieser KULTUR-NEWS, finden sie hier im Anschluss veröffentlicht. 

"Einführende Rede zur Ausstellung '3 und 40' vom 02.12.2011"

Ich darf sie herzlich zur letzten Ausstellung in diesen Räumen vom KunstRaum Geestemünde begrüßen. Alle Künstler, die bisher im KunstRaum ausgestellt haben, wurden eingeladen einen Betrag zu leisten. 34 Künstlerinnen und Künstler konnten dieser Einladung folgen. Es ist aber noch nicht der Zeitpunkt für den ultimativen Schwanengesang. Denn der Erfolg mit dem der KunstRaum diesen Stadtteil geprägt hat, der Idealismus und das Engagement der Organisatorinnen Barbara Röpke, Sandra Jakobs, Conny Wischhusen, Rita Madena und seit kurzem Barbara Meyer, sowie der unermüdliche Einsatz des Stadteilmanagers Thomas Ventzke, erzwingen nach dem gesunden Menschenverstand dass diese Galerie weiter geführt werden muss. Die Räume, die in vielen ehrenamtlichen Stunden renoviert und in Schuss gehalten wurden, stehen ab Januar wegen der Kosten nicht mehr zur Verfügung. Dazu ein kleiner Rückblick:
2006 initiierte Jochen Hertrampf in Bremerhaven die erste Kunstaktion „Kunst statt Leerstand“. Leere Ladenlokale, wie auch dieses hier, wurden für ein Wochenende mit Kunst belebt. Diese Aktion wiederholte sich in ähnlicher Weise 2007 und 2009. Um nicht nur eine Woche im Jahr die Leerstände zu beleben entstand die Idee einen KunstRaum längerfristig zu schaffen, was dann auch geschah, zuerst in der Georgstraße 61. Nach einer fünfmonatigen Pause ging es dann weiter in diesem leer stehenden Ladenlokal. Mit Unterstützung der Werbegemeinschaft Geestemünde, WIN-Fördermitteln, der Kreissparkasse Wesermünde, dem Standortmanagement Geestemünde und vielen anderen Helfern und Idealisten ist der KunstRaum in diesem Stadtteil zu einem Anlaufpunkt geworden. Der KunstRaum Geestemünde ist nicht die private Hobbyinitiative einiger selbstverliebter Möchtegernkünstler, sondern er ist viel mehr das Angebot das Leben in Geestemünde und weit darüber hinaus mit künstlerischen und kulturellen Impulsen zu versorgen, der in dieser Form nirgends angeboten wird. Jeden Monat stellten hier ein bis drei Künstlerinnen und Künstler aus. Darüber hinaus gab es weitere Veranstaltungen wie Lesungen, Performence und Kurse. Dies hier ist der noch weiter ausbaufähige KunstRaum um den Menschen eine Alternative zur Aussichtslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Bildungsnotstand, Hoffnungslosigkeit, Drogen, Suff und, und, und zu geben.
Wie es weiter geht steht noch in den Sternen. Einen Monat vor Toresschluss gibt es noch keine Aussage wie es weiter geht. Es gibt Vertrauen und Idealismus, es gibt auch schon Lippenbekenntnisse, aber in trockenen Tüchern ist noch nichts. Und daher muss der KunstRaum Geestemünde, namentlich die Organisatoren, um die Zukunft dieser Einrichtung bangen. Bevor sie nun aus Anteilnahme ihre Geldbörse öffnen und eine überzeugende Spende in den Hut werfen, lassen sie uns einen Moment über Wertschätzung reden.
Wertschätzung hat zunächst einmal nichts mit Geld zu tun. Wertschätzung ist ein Ausdruck von Anerkennung der in unserer Zeit an Gewicht verloren hat. Unsere Wertmassstäbe sind an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet. Wir reden von "WIN-WIN-Situations", davon, was wir zurück bekommen wenn wir unsere Anerkennung oder Beteiligung ausdrücken. Wir sind kulturell kurz davor keine uneigennützige Wahrnehmung walten zu lassen. Wenn etwas keine materielle Basis hat, kann der Wert bald nicht mehr ermittelt werden. Im Staatshaushalt scheint es ja schon so zu sein, dass gerade die nicht materiellen Werte am meisten stören, die Sozialleistungen, die Leistungen die keinen merkantilen Gegenwert erzeugen. Unser gesellschaftliches, oder soll ich sagen politisches, Verhältnis zur Kunst ist da noch weit geringer ausgeprägt. Diese Haltung ist eine Geringschätzung, das krasse Gegenteil zur Wertschätzung. Wollen wir das? Nun, einmal angenommen wir wollen das nicht. Wie drück sich dann Wertschätzung aus?
Gerade in der Kunst treffen wir auf Angebote die uns verstören, verwirren und unser Weltbild ins Schwanken bringen. Aus einer Ausstellung sollten wir mit mehr Fragen heraus gehen als hinein. Eine Verstörung an uns heranzulassen bedeutet, dass wir uns für etwas öffnen das uns unbekannt ist, etwas dem wir unser Vertrauen schenken müssen. Das ist der erste Schritt zur Beteiligung, es ist eine aktive Handlung von uns gefragt, wir müssen etwas das nicht in unser Weltbild passt seine Berechtigung zugestehen. Und diese Berechtigung sollte so weit gehen, dass wir die Betrachter uns selbst in Frage stellen. Wenn wir nicht bereit sind unser Weltbild zu erschüttern, dann sollten wir nicht in eine Ausstellung gehen, sondern können getrost so lange warten bis die Welt um uns herum das für uns besorgt. Seit 2008 haben wir alle genügend Möglichkeiten gehabt zur Erschütterung auf die eine oder andere Weise. Wertschätzung ist also auch eine Frage ob wir Opfer oder Gestalter sein wollen. Kreativ handelnde Menschen suchen die Erschütterung um dann etwas neues aufzubauen. Opfer jammern über die Verhältnisse und schreien nach Gesetzen die ihr schwankendes Weltbild sichern sollen. Oder anders gesagt: Ein NPD-Verbot wandelt nicht einen einzigen Neonazi in einen demokratisch verantwortlichen Mitbürger.
Wertschätzung bedeutet, man nimmt etwas Unbekanntes wahr und lässt es in sich wirken ohne zu urteilen. Wir brauchen es nur umzudrehen. Warum sollten die anders Denkenden uns wertschätzen? Wertschätzung fördert die Angst, wir könnten von unseren Massstäben abweichen. Doch wer kann schon mit Bestimmtheit sagen was richtig und was falsch ist? Die Wissenschaft kann es nicht, sie tüftelt noch an vielen Rätseln. Der Glaube etwa? Wohl ehr nicht. Der bietet nur Trost. Wertschätzung kann ein Weg sein anzuerkennen: Keiner von uns hat je den Stein der Weisen geküsst. Es wäre die Offenheit zur Augenhöhe. Wertschätzung ist der gelebte Mut sich ins Ungewisse zu begeben aus dem man selbst gewandelt hervor tritt.
Wenn wir alle still stehen und kein Wort sagen, dann können wir uns nicht gegenseitig wertschätzen. Es bedarf der Äusserung, und im künstlerischen Sinn der extraordinären Äusserung, um eine Wertschätzung zu gestalten. Für Künstlerinnen und Künstler bedeutet dies eine erhöhte Aufrichtigkeit. Sie geben den Vertrauensvorschuss, sie machen die Einladung an Menschen die sich erschüttern lassen wollen. Sie manipulieren nicht, sondern stellen als erste in Frage. Und ihre erste Schau dessen was sie in Frage gestellt haben ist das ausgestellte Werk. Je nachdem wie tief sie in ihren Seelen gegraben haben, um eine Antwort oder ein Zwischenergebnis zu finden, sind sie verwundbar und selbst verstört. Die Schaffenden beginnen mit der Wertschätzung in dem sie ihren Selbstwert zu schätzen lernen. Die erlangte Aufrichtigkeit und Unvoreingenommenheit bleibt nicht in der Werkstatt, sie ist Teil der Person die schöpft, muss zwangsläufig mit in die Welt genommen werden die verlogen ist, in der betrogen wird, in der man argumentiert bis zum Krieg, in der Menschenleben leichtfertig für Machtansprüche geopfert werden, in der Lösungen weniger gelten als Kompromisse, in der Angst als probates politisches Mittel eingesetzt wird, in der Recht über den gesunden Menschenverstand gestellt wird. 
Welchen Wert hat der Seelenkampf den es kostet um zu schöpfen? Wie viele Stunden fallen in die Waagschale wenn der Wert eines Werkes geschätzt wird? Wie bemisst man den Gegenwert einer kunstschaffenden Stunde? Wer entscheidet was Wert ist Kunst genannt zu werden? Wie viel ist es Bremerhaven wert das der KunstRaum Geestemünde weiter besteht?
Vielen Dank!

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