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Donnerstag, 12. Februar 2015

Die Zahl der Erinnerungen ist unendlich

F.Rohn, P. Bottinelli, B. Richter, G. Gabrielli © Jörg Landsberg
(Bremen) Der Fundus unserer Erinnerungen ist undurchdringlich. Es ist ein Dschungel der Vergangenheit. Und ein Dschungel im sprichwörtlichem Sinn ist die Bühne im Kleinen Haus vom Theater Bremen bei der Premiere von Aymara. Das Erzählerische mit eindringlichen Bilder steht im Mittelpunkt von Alexandra Morales Choreografie. 

Zentral ist da ein Baumhaus, das in luftiger Höhe über der Bühne schwebt. Schilf bis unter die Decke, dünne Nebelschwaden und Palmen. Es ist aber kein klar definierter Wald, sondern vielmehr die fantastische Erinnerung an viele Situationen mit den idealisierten Ausschmückungen, wie sie jeder in seinen Erinnerungen schafft. Ein großes Lob für die Gestaltung der Bühne von Elena Ortega, die einen Raum geschaffen hat, der von der Tribüne aus einen Einblick in einen exemplarischen Kopf, den Erinnerungsraum, eines Menschen gleicht. In diesem Raum erscheinen einzelne Situationen wie aus dem Nichts und verschwinden ebenso leicht um von neuen Gedankenfetzen abgelöst zu werden.

Bernhard Richter © Jörg Landsberg
Alexandra Morales hat mit ihrer ersten Choreografie am Theater Bremen eine großartige Arbeit in Szene gesetzt. Das sind 70 Minuten eintauchen in eine Welt der Erlebnisse die jeder aus seiner eigenen Biografie nachvollziehen kann. Manchmal sind es nur kurze Blitze, dann wieder kurze Abläufe eindringlicher Momente aus der Kindheit, Arbeitsleben oder vielleicht erst kürzlich erlebter Lebenssituationen. Und diese Momente passieren manchmal gleichzeitig, manchmal einzeln, eben so, wie die Erinnerungen in uns organisiert sind. Organisiert? Douglas Hofstadter beschreibt den Fundus unserer Erinnerungen als eine Schatztruhe unendlich vieler Analogien. Alles was wir erleben/erfahren legen wir in Kategorien ab, die wir dann zu unzähligen Analogien kombinieren. Also sind unsere Erinnerungen, die Guten und die Schlechten, die Basis dafür, wie wir unsere Zukunft entscheiden. Alexandra Morales nimmt uns mit auf eine Reise durch diesen gigantischen Fundus. Da sind die verspielten Dinge, die Träumerischen, der Schmerz, die Angst, Momente in denen sich jemand verstecken musste, liebte, innere Zerrissenheit und und und… Und all diese kleinen Episoden sind klar von einander getrennt, selbst wenn sie sich überlappen oder ineinander verlaufen. Mit großer Akribie und körperlicher Freiheit bewegen sich die Darsteller durch den Raum.

Was hören wir wenn wir denken? Sind die Abläufe der Erinnerungen immer logisch? Oder treten manchmal symbolische Elemente in Situationen auf die dort überhaupt nicht passen. Diesem Phänomen der Kombinationsfähigkeit unseres Geistes trägt die Choreografie/Inszenierung auf surreal anmutende Weise Rechnung. In dem Situationen neu kombiniert, oder immer wieder aufgerufen werden, versuchen wir mit uns und unserer Vergangenheit ins Reine zu kommen. Erinnerung ist Heilung auch dadurch, dass wir schmerzliche Erlebnisse auf einer Metaebene neu erleben und mit anderen Lösungsmöglichkeiten testen. Stefan Kirchhoff breitet einen musikalisch-instrumentalen Geräuschteppich aus, der die Stille im Hirn ertönen lässt. Der reicht über ein Spektrum von unbestimmbaren Sounds, über Geräusche die man mit etwas Konkretem in Verbindung bringt, bis hin zu Songs die man mitsingen kann. Dieser Sound-Kosmos bindet die unlogischen Elemente in eine Bedeutungswelt die stimmig und als normal hingenommen werden kann. Teil des Surrealen ist die Tatsache, dass wir Dinge die logisch nicht zusammen gehören, von uns ohne Widerspruch akzeptiert werden. Die Bereitschaft zur Widerspruchslosigkeit wird gefördert durch das hervorragend harmonische Zusammenspiel des gesamten Ensembles. Eine Stimmung von ergriffener Konzentration lag in der Luft. Der minutenlange Applaus dürfte Beweis genug sein, dass die Inszenierung vor allem die sensiblen Erwartungen erfüllte. 


Die nächste Aufführung von Aymara von Alexandra Morales ist am Sonntag 22. Feb. 2015 um 18:30. Im März sind Aufführungen am 7., 13., 22. und 29. Sonntags um 18:30 sonst 20:00.

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