(Wanna) Ich habe grad das Buch „Un-abhängig“ von Eva Bringer gelesen. Nein, Entschuldigung, ich habe es verschlungen, und möchte zuallererst ein WOW zu Protokoll geben. Es ist ein sehr persönliches Buch vom Trinken und Loslassen. Man hätte auch in Tränen über dieses Thema ausbrechen können. Doch Mitleid vergrößert das Leid, Mitgefühl macht es erträglicher und wandelbarer.
Eigentlich ist es nicht so wichtig über die Dramaturgie eines Sachbuches zu berichten. Doch hier ist das anders. Biringer schreibt ihre Erfahrungen über einen Zeitraum von ca. 16 Jahren. Am Ende ist sie 31. Das sind die 16 Jahre in der man als junger Mensch in die Welt rausgeht und eigene Erfahrungen macht, auf der Basis wie man seine Kindheit erlebt hat. Die Familie, die geographische und soziale Herkunft, die Bildung schaffen die Werte mit denen diese Schritte getan werden. Eva Biringer beginnt auf eine flapsige, rotznäsige Art zu berichten. Die einzelnen Episoden sind sprunghaft angeordnet und in einem fast schnoddrigen Ton vorgetragen. Man bekommt eine gute Ahnung was sie zu der Zeit für eine Person war. Je weiter es mit den Lebensstationen weiter geht, umso informativer, sachlicher wird sie. Mit zunehmenden Alter und Erfahrungen wird sie verklärter, reflektierter und eben auch erwachsener. Irgendwann dachte ich mir, wie gut das eine Frau wie sie diese Sucht durchlebt hat, eine Frau die hochfunktional ist und in der Rückschau so wertvolle Informationen für uns, die wir vielleicht auch nüchtern werden wollen, zusammengetragen und bewertet hat.
Immer wieder sind viele Fakten eingestreut: Da stellt sie z.B. fest das jährlich etwas 20.000 Menschen mehr an den Folgen von Alkoholkonsum sterben als in der aktuellen Pandemie. Nun ja, die Feststellung habe ich selbst gezogen. Sie trägt Zahlen vor wieviel für Alkoholwerbung ausgegeben wird, wie hoch die Umsätze mit Alkohol sind und wie viel Steuern der Staat dafür kassiert. Sie zeigt auch wieviel der Staat dafür ausgibt um die Sucht zu bekämpfen oder Süchtigen zu helfen. Man kann sich dazu eigene Gedanken machen. Und was man Biringer hoch anrechnen möchte, dass ist die sachliche Beschreibung wie die Unterschiede im Suchtverlauf, Suchtverhalten und den Suchtursachen sind bei Männern und Frauen. Hier verfällt sie nicht in Klischee oder politischer Korrektheit, sondern ergründet durch weitreichende Recherchen und eigene Erfahrungen. Und dann sind da die AA-Gruppen und das 12-Schritte-Program. Gut das sich mal jemand, Frau, daran traut es zu kritisieren. Denn Wille ist kein Heilmittel gegen die Sucht, es ist nur eine Methode sie zu unterdrücken. Rückfälle werden selbstverständlich in Kauf genommen. Einmal Alkoholiker, immer Alkoholiker.
Es stellt sich also die Frage ob man von einer Sucht geheilt/befreit werden kann. Doch sind wir mal ehrlich: wer von uns ist den nicht süchtig auf die eine oder andere Art? Es gibt klare Definitionen welche Süchte anerkannt sind für das Gesundheitssystem. Doch darüber hinaus gibt es viele andere Süchte. Ein Zauberwort dass sie nicht ein einziges Mal schreibt aber immer auch in Aussicht stellt ist: Transformation. Etwas das Menschen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Alles was von einem vorstellbaren Weg abweicht wird zwanghaft ausgeblendet, negiert, umgedeutet. Zustand beibehalten. Dabei ist die Transformation jedes einzelnen die wahrscheinlich einzige Methode um die Evolution der menschlichen Spezies ein wenig in Schwung zu bringen. In ihren Recherchen findet sie Wege wie man lernen kann mit der Gefahr der Suchtmittel bewusster umzugehen. Bewusster Umgang!? Da kommt man schon ins Grübeln. Sollte es wirklich möglich sein mit Gefahren eigenverantwortlich oder bewusst umzugehen? Wäre das möglich und würde sich so eine Verhaltensqualität durchsetzen, dann könnte sich der Staat aus vielen Bereichen zurückziehen, da wo er nun die Bürger bis ins kleinste Detail bevormundet. Das Verständnis von Sicherheit könnte eine neue Wertigkeit bekommen. Meine Gedanken gehen mit mir durch, Entschuldigung nochmal.
Mein Urteil für dieses Buch von Eva Biringer: Inspirierend! Unbedingt lesenswert, und das nicht nur für Alkoholiker. ISBN 978-3-365-00016-8
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