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Sonntag, 25. Januar 2015

Der Stoff aus dem der Amok ist

Robert Lang, Saskia Boden, Mechthild Grabner
von Friedo Stucke
(Wilhelmshaven) Amok! Ein Phänomen vor dem wir immer wieder fassungslos stehen. Nachdem die Leichen begraben sind und der Täter, sofern noch lebendig, verurteilt ist, bleiben wir mit der Frage zurück: Wie konnte das nur geschehen? Nun, diese Frage konnte Simon Stephens Stück „Punk Rock“ letztendlich auch nicht klären. Aber die Inszenierung von Carola Unser in der Landesbühne Niedersachen Nord, Premiere gestern Abend, gab einen guten Einblick in die Beziehungswelten fast erwachsener Schüler/Studenten.

In den 80er Jahren haben wir ein Kilo Zucker mit mehreren Tüten Salpeter aus der Apotheke vermischt und angezündet. Das gab einen gigantischen Qualm in der Schule, am Ausgang zum Pausenhof. Sirene, Gebäude durchs Fenster verlassen, Schulfrei und heillose Verwirrung. Ende der 90er Jahre verschickten zwei Mädchen Puderzucker an einen Politiker, mit der Warnung es sei Anthrax. Vielleicht kann man davon ausgehen, dass die Jugendlichen sich jeweils der Mittel bedienen, die ihre Zeit ihnen vorgibt. Und in Punk Rock gibt William Carlisle (Robert Lang) offen zu, er habe es getan weil er es konnte. Das war in Winnenden auch so. Dort war der Waffenschrank für den Schüler frei zugänglich. So gesehen ist die Frage: Wie konnte das nur geschehen? schlicht naiv, blauäugig und verantwortungslos. Um Amok zu verhindern könnte man „ALLE“ Waffen einfach abschaffen. Krieg ade! Faustkampf juchee!

Den weitaus größeren Teil von Carola Unsers Inszenierung, im fast ausverkauften Haus, nimmt allerdings der soziale - oder ehr asoziale - Nährboden ein. Asozial darf hier nicht in Form von zu-wenig-Geld-im-Haus verstanden werden. Sondern als extrem schwache Sozialkompetenz unserer Gesellschaft. Wer fängt die Ängste und Enttäuschungen der Jugendlichen auf, die sie in der Schule und Pubertät erleben, wenn Eltern unter dem Druck stehen selbst klar zu kommen, wenn Schulen unter Druck stehen, Lehrpläne zu erfüllen in Konkurrenz zu anderen Bildungseinrichtungen? Nehmen wir es als gelungene Metapher, dass in dem Stück nur 17jährige Schüler auftreten. Denn sie sind mit ihren Problemen und Herausforderungen, im Prozess erwachsen zu werden, gänzlich allein gelassen. Sie werden gemessen an ihren Noten und nicht an ihrem Mitgefühl. Ihr Leben wird ausgerichtet an wünschenswerten Zukunftschancen, und nicht an gemeinschaftlichem Gerechtigkeitsempfinden. Man bietet ihnen verklärte Realität, doch Jugendliche wollen die Magie des Lebens spüren.

Die Ausstattung, die Maske und Kostüme bilden ein harmonisches Bild mit plakativen Aussagen. Alle Charaktere haben graue Haare, als wären sie schon altklug auf die Welt gekommen. Die glitzernde Schuluniform überdeckt nur schwer die sozialen Unterschiede. Das alles vor dem Eingang spielt, könnte auch ein Bild dafür sein, dass diese Jugendlichen immer vor dem Tor ethischer Qualitäten bleiben werden. Die Bühne meist in einem Neonweisblau gefroren strotzte nur so vor Herzenskälte. 


Es stellt sich also weniger die heuchlerische Frage: Wie konnte das nur geschehen? Es wäre viel besser, diese Fragesteller würden den Mittelpunkt in ihrem Gesicht suchen. Weitere Vorstellungen am 07., 11., 25. Februar und 10. März jeweils um 20:00.

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