(Bremen) Der Raum zwischen einer bestehenden Ordnung zu einer nächsten wird mit dem Begriff Hiatus beschrieben. Unusual Symptons am Theater Bremen haben in der Choreografie von Helder Seabra diesen Ort, der gekennzeichnet ist von Stabilität und Zerfall, ausgelotet. Eine nicht gerade leicht verdauliche Kost die im politischen Gefüge dieser Zeit bestens angelegt ist.
Schon seit langem ist die politische Diskussion um die immer gleichen Probleme festgefahren. Die Argumente sind ausgelutscht, die Reformvorschläge abgedroschen und es gibt keine Sicht auf eine wirkliche Veränderung. Angenommen die Ordnung unserer Gesellschaft wäre am Ende ihrer Weisheit, dann könnte es sinnvoll sein die Perspektive zu wechseln. Taugt die Ordnung nichts, dann greift das Chaos. Sind wir in dieser Zeit vielleicht am Übergang von einem Zustand in einen anderen? Aus der Einführung zu diesem Tanzabend vom Dramaturg Gregor Runge kann man solche Gedanken ableiten. Und damit ist man geneigt Tanz, bei aller Ästhetik und Leichtigkeit oder Harmonie der Bewegung, als ein Medium qualitativ hochwertiger geistiger Reflektion anzusehen. Hier ist es nicht das scharfe Wort mit dem man rational und logisch eine Sache erforscht, sondern die visuelle und betroffen leidenschaftliche Erfahrung des Miterlebens um zu einem besseren Verständnis zu gelangen. So stellte ich mir die Frage, bei den vielen dynamischen Bildern die in vielfältiger Wiederholung gezeigt wurden, wie viel Chaos in der Ordnung sein kann und umgekehrt. Oder etwas konkreter benannt: Wenn wir eine Gesellschaftsordnung haben, wie kann es dann sein das gleichzeitig so viel Chaos herrscht. Bei einem Rechtsanwalt hatte ich einmal eine Bücherwand gesehen mit den Loseblattordnern von Gesetzestexten. Meterlange Regale auf Dünndruckpapier; wer zum Henker soll wissen was da drin steht und wie man sich danach verhalten soll. Also ein überwältigendes Chaos in der besten Ordnung?
Gerade in den vielen Wiederholungen der aufwendig choreografierten Abläufe ist eine weitere Stärke zu finden. Sehe ich etwas einmal, kann ich rational verstehen. Sehe ich etwas mehrfach erkenne ich ein Muster, also einen komplexeren Zusammenhang. Sehe ich es dann noch und noch und noch Mal, entsteht eine Beziehung zwischen dem was ich sehe und Situationen aus meinem Erleben. Ich werde hineingezogen. Sind die Wiederholungen in vielen Variationen, dann entsteht eine Beklemmung die den Tretmühlen gleichen Ablauf vieler Tage zeigt. Sicherheit durch Vorhersehbarkeit wird zur eingeschränkten Welt, ja, es wird sogar alles ausgeschlossen was eine Erlösung bringen könnte. Ist das die Angst vor dem Chaos oder die Angst vor der Freiheit? Zeiten des Übergangs sind immer sehr kreative Zeiten. Aus der Biologie wissen wir, dass gerade die Übergangsbereiche von z.B. Wald zu Feld die größte Artenvielfalt bietet. Oder: Die Migration wird als ein bedrohliches Phänomen beklagt, bekämpft verwaltet, aber die Wirtschaft sucht händeringend nach Fachkräften die nur durch Migration zu finden sind.
In dieser Zeit des Übergangs stellt sich auch die Frage ob im Chaos ein Aufbruch zu finden ist, das ringen mit einer, oder um eine, Initialzündung hin zu einer neuen Ordnung, einer dynamischen vielleicht. Oder ist Dynamik, die stete Veränderung eine Ordnung an sich? Diese Fragen bleiben offen. Sie sind aber durch das Tanz Ensemble: Gabrio Gabrielli, Michai Geyzen, Nora Horvath, Alexandra Llorens, Ulrike Reinbott, Diego de la Rosa, AndorRusu und Young-Won Song auf beeindruckende Weise dargestellt worden. Die Kraft der bewegten und bewegenden Bilder allein durch beseelten menschlichen Körper zeigt wie vielschichtig wir alle sind, unabhängig unserer Kultur, Religion oder Herkunft.
Das nächste Mal ist dieser fantastische Tanzabend am Sonntag den 3. März um 18:30 zu sehen. Ich möchte noch erwähnen dass es eine interessante Einstimmung unter dem Titel Physical Prologue auf der Probebühne gab. Das ist ein schöner ruhiger Übergang von dem was immer man den ganzen Tag tat hin zu einer künstlerischen Teilnahme. www.theaterbremen.de
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