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Donnerstag, 26. Juli 2012

Wahr oder unwahr das Schwarzbuch WWF


(Gütersloh) Bei der Lektüre vom „Schwarzbuch WWF - Dunkle Geschäft im Zeichen des Panda“ von Wilfried Huismann steht man immer wieder vor der Entscheidung: „wahr oder unwahr - das ist hier die Frage.“ Setzt der Autor, ein dreifacher Grimme-Preisträger, seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel, oder ist der World Wide Fund For Nature tatsächlich Steigbügelhalter für die weltweit skrupellosesten Umweltvernichter? Angenommen die Recherchen sind wahr, dann wird im „Schwarzbuch WWF“ der blanke Zynismus der größten Umweltsünder offen gelegt.
Der WWF hat gegen das Gütersloher Verlagshaus geklagt um den Vertrieb des Buches zu stoppen. Der Buchhändler bei mir um die Ecke wirbt in seinem Schaufenster damit, dass sich einige Buchhandlungen durch die Klage einschüchtern ließen und das Buch aus dem Regal genommen hätten. Aber das „Schwarzbuch WWF“ kann man weiterhin erwerben. Und sollte der eine oder andere Buchhändler tatsächlich kein Exemplar vorrätig haben, so wird er es sicher bei seinem Grossisten bestellen. Unter der ISBN 978-3-579-06675-2 kann es sogar direkt beim Verlag bestellt werden. Es ist bereits in der 2. Auflage unveränderten erschienen.
Der World Wide Fund For Nature erhält jährlich 500 Millionen EURO Spendengelder. Nach der Lektüre vom „Schwarzbuch WWF“ wird sich evtl. der eine oder andere Spender neu entscheiden wo und wie er finanziell unterstützt. Weitaus bedenklicher ist es zu erfahren wie der World Wide Fund For Nature zum Handlanger und Wegbereiter von Konzernen wird die skrupellos und ohne ethischem Bewusstsein die Welt ausbeuten, zerstören, verachten - einzig um des Profits Willen.
Wilfried Huismann berichtet über Großwildjäger die Safari in abgeschirmten Naturschutzparks auf artgeschützte Tiger machen. Die Ureinwohner wurden zuvor in kleinen Reservationen gepfercht und somit aus der Schusslinie genommen. Der World Wide Fund For Nature strickt eine umweltverträgliche moralische Begründung damit private Touristik-Unternehmen Gewinne machen. Ein weiteres Thema: Massentierhaltung bei Lachsfarmen in den Fjorden Chiles verpesten das Meer. 200.000 Lachse pro Käfig, das ist doppelt so viel wie in Europa erlaubt, werden mit Unmengen von Antibiotika gezüchtet. Vor einem Jahr sind bei einem Massenausbruch 130.000 Lachse ausgebrochen und haben den Reloncavi-Fjord leergefressen. „Die Industrie benutzt das Meer als Müllhalde; die Lachse in unseren Farmen produzieren genauso viele Fäkalien wie die 14 Millionen Einwohner Chiles“ wird der Biologe Hector Kol zitiert. Um ein Kilo Lachsfleisch herzustellen werden vier bis sechs Kilo wild lebende Fische getötet und zu Mehl verarbeitet. 
Am meisten schockiert das Geschäft mit dem modernen „Ablasshandel“! Huismann schildert wie der World Wide Fund For Nature Zertifikate schafft und vergibt damit Konzerne wie Monsanto Gensoja in unvorstellbarer Monokultur anbauen kann. Oder wie Palmen zur Produktion von Palmöl auf Regenwaldflächen angebaut werden die zuvor durch Brandrodung vernichtet wurden. Der Gedanke von Nachhaltigkeit im Umgang mit dem Planeten Erde und seinem Ökosystem wird mit dem Segen vom World Wide Fund For Nature mit Füßen getreten. 
Der Autor berichtet auch über die seltsame Geheimnistuerei des „Club der 1001“ in dem die „wichtigsten“ Köpfe vereinigt sind und sich Jahr für Jahr zum Panda-Ball treffen. Und er schreibt über den Dokumentarfilm Kevin Dowlings, welcher 1992 einmal im britischen Sender ITV gesendet wurde und dann im Giftschrank des Senders verschwand, und der Dowling die Karriere kostete.
Auf den 256 Seiten ist Zündstoff genug um eine neue Sicht auf den WWF zu bekommen. Übrigens auch für die Mitglieder an der Basis, die im Vertrauen an eine gute Sache eine engagierte Umweltarbeit zu betreiben glauben.


Nachtrag am 28. Juli 2012:
Der Rechtsstreit ist beigelegt. Dazu hier ein Link vom Artikel den die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte: WWF versus GVH - Schwarzbuch WWF von Wilfried Huismann 

Dienstag, 17. Juli 2012

Fünf Künstlerinnen am Puls ihrer Zeit


Videokunst von Pipilotti Rist

(Interlaken) Für die unbeirrte Suche nach visuellen Ausdrucksmöglichkeiten stehen fünf bildende Künstlerinnen in Interlaken. Anlässlich des 100. Todestages von Clara von Rappard zeigt das Kunsthaus Interlaken in Kooperation mit der Gesellschaft Clara von Rappard und der Kunstgesellschaft Interlaken die Ausstellung „Innovationen in der Kunst der Schweiz“. Neben Gemälden und Zeichnungen von Clara von Rappard 1857-1912 werden auch Werke weiterer bedeutender Künstlerinnen gezeigt: Marianne von Werefkin 1860-1938, Meret Oppenheimer 1913-1985, Leiko Ikemura geboren 1951 und 1964 Pipilotti Rist.
Die Russin Marianne von Werefkin bekam schon früh akademischen Unterricht als bei ihr im Alter von 14 Jahren das Talent zum Zeichnen entdeckt wurde. Auf Grund ihre adelige Herkunft verfügte sie über ein großes Atelier. Später erlaubte ihr eine noble zaristische Rente die Übersiedlung nach München. 1897 gründete Marianne von Werefkin die „Bruderschaft von St. Lukas“, die schließlich als N. K. V. M. eine Keimzelle zum Blauen Reiter wurde. Sie arbeitete konsequent mit dem expressionistischen Ansatz. Im Stil folgte sie den Theorien Vincent van Goghs, in der Flächenmalerei orientierte sie sich an Paul Gauguin und von Henri de Toulouse-Lautrec lernte sie die plakative Malerei. Werefkin ließ sich stark von der Japanische Kunst beeinflussen. Sie schätze „die Japaner als kunstbeflissen und versessen in ihrem Durst nach Kultur“. 
Frühstück im Pelz M. Oppenheimer
Im Grenzgebiet von Basel und Lörrach wuchs Meret Oppenheimer auf. Der Besuch der Rudolf-Steiner-Schule und die frühen Kontakte zu Literaten und Künstlern wie H. Hesse, André Breton, Marcel Duchamp und Max Ernst wirkten prägend auf ihre frühen Werke: z.B. „Frühstück im Pelz“, eine pelzbezogene Kaffeetasse. Mit dieser Tasse machte sich die spätere documenta-7-Teilnehmerin schon früh einen Namen. Bei einer Ausstellung  für fantastische Möbel zeigte sie 1939 unter anderem einen Tisch mit Vogelfüßen. Für das Theaterstück „Wie man Wünsche am Schwanz packt“ von Picasso in der Inszenierung von Daniel Spoerris entwarf sie Kostüme und Masken.
Leiko Ikemura ist japanisch-schweizerische Malerin und Bildhauerin. Als Nachkriegskind verlebte sie ihre Jugend in von Zerstörung und Entbehrung geprägten Japan. Nach dem Studium der spanischen Literatur in Osaka siedelte sie 1972 nach Spanien über um ihre Studien in Salamanca und Granada  zu vertiefen. Sie begann in einem Bildhaueratelier plastisch zu arbeiten. Von 1973 bis ´78 studierte sie an der Akademie in Sevilla Malerei. In der Züricher Kunstszene tritt sie dann markant in Erscheinung. Weitere Stationen sind Nürnberg, wo sie neun Monate als Stadtzeichnerin arbeitete, und 1985 Köln, der damalige Schmelztigel zeitgenössischer Kunst. Seit 1991 ist sie Professorin an der Universität der Künste Berlin. Im Kunsthaus Interlaken wird gezeigt wie sie mit unterschiedlichen Medien die existentiellen Daseinsformen in Motiven Stehender, Fallender, Liegender oder Fliegender auslotet.
Weltweit gefeiert wird die Videokünstlerin Pipilotti Rist. Die Schweizerin studierte von 1982 bis 1986 Gebrauchs-, Illustrations- und Fotografik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Im Anschluss daran studierte sie an der Schule für Gestaltung in Basel Audiovisuelle Kommunikation. 1997 wurde sie auf der Biennale in Venedig mit dem Premio 2000 ausgezeichnet. Zu ihren Arbeiten zählen neben Videoinstallationen und Experimentalfilme auch Environments, Objekte und digitale Fotomontagen. Der Professor und Künstler Paul McCarthy lud sie 2002 für ein Jahr ein an der University of California L.A. zu lehren.
Am kommenden Sonntag den 29. Juli um 11:00 gibt es eine Führung unter der Leitung von Thomas Meier und Martin A. Moser mit dem Titel: Clara von Rappard als Pleinairistin - Landschaftsmotive und ihre Umsetzung.

Dienstag, 10. Juli 2012

Fasten Your Seat Belts


(Bremen) Das Bremer Theater hatte in dieser Spielzeit einen Faible für lange Stücke ohne Pause. Die Nibelungen machen da keine Ausnahme. Das Tempo und die eigenwillige Dynamik der Inszenierung der Nibelungen von Friedrich Hebbel in der Regie von Herbert Fritsch lassen dieses Opfer vom Publikum gerechtfertigt erscheinen. Ein begeisterndes Ensemble spielt nahtlos verwoben die schrille Version eines alten Trauerspiels.
Es wird von Beginn an viel geboten. Von der Bühne ergießt sich eine Energie wie in den amerikanischen TV-Serien wie CSI oder Bones. Entweder folgt man gespannt und voll konzentriert oder man verliert den Faden. Die Geschichte wird nicht erzählt sondern geschüttet. Unaufhaltsam begräbt es die Zuschauer unter der Flut von Sprachkaskaden und wechselnden Situationen. Ganz offensichtlich spielt Herbert Fritsch mit der Übertreibung. Und das macht er gut. Die Kostüme von Victoria Behr sind einfallsreich detailiert und pointiert. Sie weisen auf die vielfältigen Charakterdeutungsmöglichkeiten. Die Charaktere sind umfangreich recherchiert und gestaltet, und mit treffsicheren Schlüsselmomenten in Szene gesetzt.
Das Trauerspiel kommt aber ehr als eine Verdrängungstechnik daher. Man wird in den Theatersessel gedrückt von einer schockierenden Dynamik. Was immer man erwartet hat, dies ist anders: einnehmender, packender, konfrontierender, manipulativ, aufdringlich, ambivalent interessant. Es endet damit, dass alle im Publikum aufgefordert werden mit auf die Bühne zu kommen um dort mit den Schauspielern zu tanzen. Doch keiner wagt diesen Schritt. Denn wie endete doch die Geschichte in Etzels Thronsaal? Wurden da nicht alle bis auf den letzten Mann getötet? Das ist sicherlich nicht bei der letzten Aufführung am Samstag 14. Juli 2012 um 20:30 zu erwarten.
Die Nibelungen ist die letzte Schauspiel Aufführung in dieser Spielzeit im Bremer Theater und bildet den nahtlosen Übergang zur anschließenden Abschiedsparty auf der Bühne die ab 23:00 angesagt ist. Einige Schauspieler werden nach dieser zweiten (interims) Spielzeit ohne Intendanz das Theater verlassen: Jan Byl, Glenn Goltz, Eva Gosciejewicz, Timo Lampka, Christoph Rinke, Franziska Schubert und Varia Linnéa Sjöström. Sie haben die künstlerische Gestaltung im Bremer Theater mit getragen.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Bildlein Bildlein an der Wand, wer ist der gerissenste Ganove im Land


(Berlin) Der Fälschungscoup des Jahrhunderts von Wolfgang Beltracchi und seiner Bande ist dreist und wirft eine Menge Fragen auf die weit über das Betrugsdelikt hinaus gehen. In ihrem Buch „Falsche Bilder - Echtes Geld“ berichten Stefan Koldehoff und Tobias Timm umfassend über den Fall. Das Buch ist im Mai 2012 bei Galiani erschienen und kostet 19,99€.
Ernst Schöller vom LKA Stuttgart schätzt das ca. 30% aller Kunstwerke Fälschungen sind. Vielleicht schaut nun der eine oder andere Sammler misstrauisch auf seine Gemälde an der Wand. Ob da wohl auch ein Beltracchi drunter ist? Angemessen ist es zumindest die künftigen Ankäufe konkreter auf Echtheit zu prüfen. Die Recherchen von Koldehoff und Timm ergeben, dass Kunst oft auf Grund guten Glaubens gehandelt wird. Der Kunstmarkt ist ein Markt der wie kein anderer von undurchdringlichen Geheimnissen eingesponnen ist und Gewinnspannen hat wie sonst nur der Waffenhandel oder die Prostitution. Neben ganz legalen Käufen ist es ein Mekka für Geldwäsche, Anlage von Schwarzgeld, dubiosen Sicherheiten undundund. Nach der Lektüre dieser Recherche versteht man vieles besser im Kunsthandel, z.B. wieso der Kunstmarkt nach dem Bankencrash ausgelöst von Lehmann Brothers so boomt. 
Wolfgang Beltracchi, der sich auf die Fälschung von Werken von Künstlern aus der zweiten Reihe spezialisierte, ist nur einer von mehreren Fälschern. Seine Bilder wurden nur bis zu einstelligen Millionenbeträgen gehandelt. Bereits fünf Wochen nach der Verurteilung Beltracchis wurde ein neuer Skandal bekannt. Dabei ging es um Bilder von Pollock, Rothko, Diebenkorn und Motherwell, Kline, Still und de Kooning, also um Werke im zweistelligen Millionenbereich. Nun kann man sagen es träfe ja keinen Armen, doch in einem Rechtssystem sind die Gesetze für alle gleich. Diese Gleichstellung trifft auch für Beltracchi zu der jedoch eine Strafmilderung bekam, weil er einen so genannten Deal mit dem Gericht aushandelte. Wer weis, vielleicht ist er schon wieder fleißig bei der Arbeit.
Seine Arbeit bestand über drei Jahrzenhte darin alte Materialien zu sammeln, sich mit einigen Malern wie Heinrich Campendonk, Fernand Léger, Max Ernst oder André Derain intensiv zu beschäftigen um dann in deren Namen Werke zu schaffen die noch nie existierten. Handwerklich sind die Fälschungen ganz brauchbar, aber von echter inspirierter Kunst weit entfernt. Seine Komplizen übernahmen den Vertrieb. Um die Herkunft der Bilder zu erklären erfanden sie zwei Sammlungen und versuchten von Experten Echtheitszertifikate zu bekommen. Hier wird es dann skurril. Denn die Experten verdienten durch ihre positiven Bescheinigungen kräftig mit. Werner Spies z.B., der angesehenste Max Ernst Experte, glaubte durch Augenscheinnahme von Fotografien der Gemälde die Originalität der Bilder bestätigen zu können. Was er dann auch bei mehreren Max-Ernst-Fälschungen tat, sich dann noch für den Verkauf einsetzte und dafür kräftige Provisionen erhielt.
Wenn man das Buch von Stefan Koldehoff (Kulturredakteur beim Deutschlandfunk wurde für seine investigativen Recherchen mit dem puk-Journalistenpreis des Deutschen Kulturrats ausgezeichnet) und Tobias Timm (Stadtethnologe und Kulturwissenschaftler schreibt für das Feuilleton der ZEIT)  liest stellt man sich immer wieder die Frage wem man im Kunsthandel trauen kann. Hochangesehene Galerien werden entlarvt wie sie sorglos erlogene und zweifelhafte Provenienzen Glauben schenken um sich die satten Provisionen einzustecken. Kunstexperten verzichten auf Materialprüfungen, wie z.B. vom Doerner Institut, um Kosten zu sparen und gehen lieber das Risiko ein eine Fälschung in den Stand der Echtheit zu adeln. Bilder die nach einem Verkauf als Fälschung erkannt wurden, werden nach einer Zeit des Vergessens wieder in den Handel gebracht. Die beiden Journalisten gehen über den Fall Beltracchi hinaus und stellen einen Kodex zu Diskussion dem sich der Kunsthandel unterwerfen sollte. 
Stefan Koldehoff und Tobias Timm - Falsche Bilder - Echtes Geld, Der Fälschungscoup des Jahrhunderts - und wer alles daran verdiente. Galiani Verlag Berlin 2012 ISBN 978-3-86971-057-0, 304 Seiten mit Bildteil.

Freitag, 22. Juni 2012

„Callas“ von Reinhild Hoffmann - der Kunst ein Vivat!


(Bremen) Der Bühnenraum des Theater Bremen ist mit einem blutroten schweren Vorhang im Hintergrund, einem weichgemustertem Teppich und einer verkürzten Sitzreihe (als einziges Möbel) ausgestattet. Rechts und links vom Vorhang sind Türen für die jeweiligen Auftritte in einer schwarzen Wand. Mit dieser universalen und elementaren Opernbild-Ausstattung ist ein trefflicher Ort geschaffen (Bühne Johannes Schütz) für den Tanzabend „Callas“, Tanztheater von Reinhild Hoffmann. In dem Stück, das am 16. Juni 2012 Premiere hatte, wird keine Biographie und doch viel mehr als das der Maria Callas gezeigt.
Angenommen man könne Theater in Ebenen künstlerischen Ausdrucks aufteilen, dann gibt es das Amateurtheater welches aus einer lokalen Gemeinschaft entsteht und diese unterhält. Es gibt dann professionelles Theater das in der freien Szene und in den Stadt- und Staatstheatern solides Schauspiel-Handwerk bietet und überregional wirkt. Und dann gibt es noch die Ebene des künstlerischen Ausdrucks, die mit einer universalen Sprache Kommunikation und Reflektion grenzenlos und interkulturell in die Herzen und Seelen der Menschen spielt. Auf dieser Ebene darf man Künstler wie Maria Callas ansiedeln. Wenn es nun gilt das Leben der Callas darzustellen, dann muss man den schmalen Pfad finden der die Künstlergestalt zeigt. Das ist Reinhild Hoffmann vortrefflich geglückt. Die Essenz der Callas ist die Stimme und der Ausdruck für die jeweiligen Frauen aus den Opern: Norma, Leonora, Lakmé, Ophelia, Madame Butterfly, Gilda, Tosca. Die gesungene Sprache dringt durch die Sängerin und spricht doch von allen Frauen die mit ähnlichen Schicksalen konfrontiert sind, zu allen Frauen (und Männern) die mit sensiblen Herzen und sensibler Seele nachempfinden. Es ist eine hohe Kunst dieses Paradox zu kreieren wenn eine Person wie alle Personen spricht, singt, lebt. Um dieser Kunstform zu entsprechen müssen die Künstler einen Schritt zurücktreten und die Rollen und Charaktere im Vordergrund wirken lassen. Sie müssen ihr Leben dafür geben, dass künstlerische Werkzeug, ihren Körper, täglich zu trainieren, um in besonderer Durchlässigkeit bereit zu sein. Vielleicht ist das die Geburt der Diva. Vielleicht ist Diva die Daseinsform die einer Künstlerin bleibt wenn sie ihr gesamtes Leben der Kunst verschreibt, wenn sie mit der Stimme aller für alle singt.
In mehreren Bildern wird der „La Divina“ entsprochen. Zu Beginn drängt sie sich durch die Reihen um einen Platz zu finden. Es ist Verehrung die man ihr entgegen bringt um ihr Platz zu machen. Es ist die Verehrung für die Person die so viele andere spielte, der man mit Bewunderung, Dankbarkeit und Respekt begegnet. Zu Recht - denn genau das ist es auch was „La Divina“ sich selbst abfordert. In einem späteren Bild färbt sie ihre Schuhe mit Blut ein und beschreitet damit den Weg der steinigen Karriere. Star zu sein ist kein Zucker schlecken. Denn zu der täglichen Vorbereitung auf die Rollen kommt nun noch die Heuschrecken der Presse, die skandalgeilen Paparazzi, die Geifer sabbernden Klatschkolummnisten und dem Profit gierigen Management zu entsprechen oder besser zu entkommen. Wer als Star das Bad in der Menge sucht, spielt sicher nicht in der Liga der Callas.
Eine ganz andere Herausforderung ist es Maria Callas zu thematisieren und künstlerisch angemessen aufzutreten. Das Tanztheater Bremen hat hier eine überzeugende Darbietung gegeben. Ein Hauch der Opernwelt des 19. Jh. wehte durchs Theater, einzelne Gesten ließen den Atem stocken, echte Mimik die Spiel in Realität verwandelte.
„Callas“ ist auch eine Herausforderung fürs Publikum. So eingängig die Bilder auch choreographiert sein mögen, es bedarf ein waches und interessiertes Publikum um den künstlerischen Genuss voll auszuschöpfen. Theater ist nun mal der vitale Dialog zwischen Darsteller und Zuschauer, und „Callas“ ist eine anspruchsvolle Unterhaltung die die handwerkliche Ebene weit übersteigt.
Weitere Aufführungen in dieser Spielzeit sind am Mittwoch 27. Juni 18:00, Freitag 29. Juni um 19:30, Dienstag 03. Juli und Donnerstag 05. Juli um 19:30, Sonntag 08. Juli um 18:00. Am Freitag dem 13. Juli um 19:30 gibt es die Abschiedsvorstellung für Tänzerinnen und Tänzer aus dem Ensemble: Vladislav Bondarenko, Tomas Bünger, Héloise Fournier, Tim Gerhards, Mimi Jeong, Sunju Kim, Jae Won Oh, Robert Przybyl, Magali Sander Fett, Frauke Scharf und Miroslaw Zydowicz.

Sonntag, 10. Juni 2012

Leben der Callas dargestellt im Tanz durch Reinhild Hoffmann


(Bremen) Eine Biographie schreibt man im Tanz mit bewegten und bewegenden Bildern. Reinhild Hoffmann choreographierte 1983 im Concordia das herausragende Werk „Callas“. Nun, 30 Jahre später wird es vom Tanztheater Bremen dieses Stück wieder auf. Wieder unter der Leitung von Reinhild Hoffmann ist das gleiche Produktionsteam beteiligt: Johannes Schütze (Bühne), Joachim Herzog (Kostüme) und Manfred Voss (Licht).
Reinhild Hoffmann hat an der Folkwangschule in Essen zeitgenössischen Tanz studiert. Anschließend arbeitetet sie als Tänzerin mit Kurt Jooss und Johann Kresnik. Zwei Jahre leitete sie mit Susanne Linke das Folkwang-Tanzstudio. In der Zeit entstanden ihre Choreographien „Trio“, „Duett“, „Solo“, „Fin al punto“ und „Rouge et noir“. Zur Musik von John Cage entstand 1977 das bekannte „Solo mit Sofa“. In den Jahren von 1978 bis 1986 schrieb sie eines der wichtigsten Kapitel des deutschen Tanztheaters als Choreographin und künstlerische Leiterin am Tanztheater Bremen.
Dem Tanz typisch wird die Geschichte der Callas mit dem Körper erzählt. Es handelt sich also nicht um eine Biographie im üblichen Sinne. Die Diva ist in allen Tänzern gegenwärtig zu den schönsten Arien von Gluck, Donizetti, Bizet und Verdi. Durch die Höhepunkte der Opern, durch jede Arie lernt man Maria Callas etwas mehr kennen. Damit wird es zum Genuss für Tanz und Opernfreunde gleichermaßen. Acht Szenen erzählen „die Innenansichten des Künstlers schlechthin“ wie es der Tanzkritiker der FAZ, Jochen Schmidt, in seiner Rezension zur Uraufführung 1983 zusammenfasste. Maria Callas, die mit dem absoluten Kunstanspruchs ihre Rollen arbeitete, liefert nicht nur die Vorlage des Künstlerdaseins schlechthin, sie vermittelt auch mit welcher Demut und angemessenem Respekt man als Künstler seinem Beruf ausüben sollte.
Die Premiere ist am 16. Juni 2012 um 19:30. Weitere Aufführungen sind am 27. Juni 18:00 und 29. Juni 19:30.

Samstag, 9. Juni 2012

Juris Kristalle - Novelle über eine Schizophrenie


(Achim) Der Worthandel Verlag Dresden legte im Februar 2012 das Buch von Kerstin Fischer „Juris Kristalle“ vor. Der Untertitel - Novelle über eine Schizophrenie - ist etwas hoch gegriffen, da es sich mehr um eine Erzählung handelt mit einer intellektuell konstruierten Sprache. 
Juri, Sohn eines Bauunternehmers welcher seine russische Frau bei einem Auslandsauftrag kennen lernte, wächst in einer süddeutschen Stadt auf, studiert und bekommt nach einigem Bemühen ein Volontariat bei einer Hamburger Stadtzeitung. Seine zurückhaltende Verehrung für eine Dozentin aus der Zeit seines Studiums verläuft sich im Sande. In seiner Zeit bei der Stadtzeitung hat er mit Intrigen zu kämpfen und muss lernen sich in der Arbeitswelt durchzusetzen. Dann endlich klappt es auch in der Liebe, zumindest für eine geraume Zeit. Das Scheitern dieser Beziehung führt ihn dann in die psychischen Schwierigkeiten mit denen das Buch endet.
Über die Krankheit erfährt der Leser nichts, was er der Krankheit zuordnen könnte, es sei denn der Leser ist Psychologe oder ein anverwandter Berufspraktiker. Das beschränkt auf ein potentielles Leser Publikum. Dann wird immer wieder mit eingeschobenen Zitaten von F. M. Dostojewski und Jack London auf deren Bücher Bezug genommen. Doch wer „Schuld und Sühne“, „Dämonen“ und „Der Ruf der Wildnis“ nicht gelesen hat wird auch um dieses Lesevergnügen gebracht. Die Fabel des Buches ist aus dem Leben gegriffen. Es könnte viele solcher oder ähnlicher Schicksale geben. Daher wäre es schön gewesen dem Leser etwas originales zu vermitteln mit dem der Leser das Besondere von Juris Lebensweg erfahren könnte. Doch darauf wartet man vergebens. Die Sprache ist nicht uninteressant, aber gewöhnungsbedürftig. 
Ein Beispiel: „Sicher lag jene (…eine faszinierende Eleganz des Urwüchsigen…), blieb, fernab der großen Feste, in erster Linie auf Einsamkeit und Zwiesprache mit Natur und Äther bezogen, glänzte vor allem nach innen, denn nach außen, war aber im Stande, dort riesige Klüfte zu überwinden, weil sich an ihr die bedeutsamsten Geheimnisse offenbarten, auch wenn die Pfade, denen man vorab lange folgen musste, über weite Strecken im Schatten lagen.“
Die Autorin Kerstin Fischer hat Germanistik und Geschichte in Bremen studiert. Sie volontierte und arbeitetet mehrere Jahre als freie Mitarbeiterin für Theater- und Literaturkritik bei verschiedenen Zeitungen. Ihre Lyrik und Kurzgeschichten wurden bereits in Anthologien veröffentlicht. Seit 2006 ist sie ausschließlich als freie Schriftstellerin tätig. Ihre erste romanhafte Erzählung „Das Gewächshaus“ zum Thema Magersucht erschien 2007. Um eine krankhaft narzisstische Veranlagung geht es dann in ihrem zweiten Buch „Sergejs Schatten“ das 2009 erschien.
Kerstin Fischer lebt mit ihrer Familie in Achim bei Bremen. Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller.
„Juris Kristalle - Eine Novelle über eine Schizophrenie“ von Kerstin Fischer ist erschienen bei Worthandel :  Verlag, Dresden 2012. ISBN 978-3-935259-65-1, Broschur 117 Seiten und kostet 14,90€  www.worthandel.de