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Montag, 8. Dezember 2014

Ben X im Theater an der Glocksee

Jonas Vietzke © Jonas Wömpner
(Hannover) Ein glatter - mit wenigen variablen Elementen - strukturierte Bühnenaufbau, ist in klinisch hellblauem Licht gedämmert. Hier erwartet uns Gefühlskälte oder zumindest Unverständnis für Empathie. Im Hintergrund ein riesiges Prospekt für Projektionen, und drei weiße Kuben die an verschiedenen Plätzen im Spielverlauf für weitere Projektion genutzt werden. Nur eine Person tritt auf. Es ist Ben X (Jonas Vietzke), Autist. Seine Welt endet an der Grenze zu seiner Kleidung. Diese klare Bühnen-Bildsprache zeigt treffend das Empfinden Bens.

Er lebt vornehmlich in einem Onlinerollenspiel. Eine erste bombastische Projektion dieses Spiels saugt alles in sich hinein. Darin sind Kampfszenen, Fantasieburgen, wendige kraftvolle Körper, Schwerter, Lederrüstungen, Wälder, Sonne und Scarlite! - die jugendlich, jungfräulich zarte Schönheit mit der Ben als Partnerin durch das Spiel wandert. Via Chat kann er mit Scarlite kommunizieren. Sie antwortet auf alles was er sagt. Ist sie real oder Avatar? Die nächste Projektion, sein Schulweg, ist das tosend bedrohliche Treiben auf Gehwegen und Straßen bis zur Bushaltestelle. Ohrenbetäubender Lärm und eine nicht enden wollende Bilderflut im sekündlichen Staccato trommelt auf ihn (auf uns alle) nieder. Es wird zum ersten Mal ungemütlich im Theatersitz. Doch hier sei angemerkt, hat die Regie (Karin Drechsel) mit feinfühliger Hand genau das richtige Mass getroffen. Die Projektionen und Geräuscheinspielungen sind punktgenau abgewogen zwischen dem inneren Erleben Bens und dem betrachtenden Publikum. Dazu kommt, dass Technik und Schauspieler wie eine Person handeln, so nahtlos zusammen wirken, dass im Theater die äußerst seltenen Momente von Magie entstehen. Bravo - es ist ein Thrill dabei zu sein!

Weiter mit Ben. In der Schule wird er als Freak, als Marsmensch gemobbt. Seine Mitschüler kennen da kein Tabu. So kommt ein Video von ihm mit heruntergelassenen Hosen ins Internet. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Lehrer, Eltern und Mitschüler reden, erklären, verteidigen sich. Man könnte auf einer philosophischen Ebene Fragen, wer denn nun der Autist ist. Alle begründen aus ihrer Sicht was vorgefallen ist, keiner zeigt soziales Einfühlungsvermögen und selbstkritisches Verhalten. Wo also ist die Welt der anderen die Teil wird eines jeden? Wo bitte ist die „Community of men“ im Umgang mit Menschen die wir als anders (unnormal - nicht der Norm entsprechend empfinden)? Auch hier ist wieder eine sehr gelungene Videoprojektion, eine Sequenz mehrere Einzelprojektionen. Darin sprechen Eltern, Lehrer und Mitschüler, aber es ist immer das Bild von Ben zu sehen. Es kommt dem „Inneren Dialog“ gleich den bereits Carlos Castaneda in den Lehren des Don Juan beschrieben hatte. Ben X redet die Dialoge abgekoppelt von den anderen selbst, weil das seine Welt ist, gezeichnet von eingeschränkter Kommunikation weil er die Bedeutung hinter den Worten intuitiv weder erfassen noch darauf reagieren kann.

Seine Welt funktioniert nur durch klare Planung, feste Regeln und sich wiederholende Abläufe. Die durch sein Anderssein erduldeten Demütigungen kompensiert er durch das Onlinerollenspiel. Da ist er bereits auf Level 80. Autisten können auf einem einzelnen Gebiet enorme Fähigkeiten erreichen, man spricht von Inselbegabungen. Aber Autisten haben Schwächen in Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation. Ben gerät immer tiefer in diesen Konflikt bis er endlich beschließt ein Zeichen zu setzen.

Das Stück „Ben X“ von Nic Balthazar basiert auf einem realen Fall, wurde 2007 von ihm verfilmt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die Inszenierung von Karin Drechsel im Theater an der Glocksee mit Jonas Vietzke als Ben X ist großes Erwachsenentheater. Das Publikum zollte dies verdient mit brodelnd langem Applaus.

Weitere Termine sind Dez. 2014 am 10., 12., 13., 17., Jan. 2015 am 9., 10., 14., 16. und 17. jeweils um 20:00. Infos: THEATER AN DER GLOCKSEE

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